Lerntext Wahrnehmung (pdf)

Roland Heynkes, 14.7.2019

Gliederung

zum Text Überblick über die Sinnesorgane des Menschen
zum Text Reiz
zum Text Sinneszelle und Sinnesorgan
zum Text Wahrnehmung
zum Text akustische Wahrnehmung Hören
zum Text optische Wahrnehmung Sehen
zum Text Plastizität der Wahrnehmung
zum Text

Überblick über die Sinnesorgane des Menschen nach oben

Sinne nennt man traditionell nur 5 unserer Wahrnehmungskanäle, mit deren Hilfe das menschliche Gehirn seine Umwelt wahrnimmt:

  1. Wir sehen mit Hilfe der Augen,
  2. hören mit Hilfe der Ohren,
  3. fühlen und tasten mit Hilfe der Haut,
  4. riechen mit Hilfe der Nase und
  5. schmecken mit Hilfe der Zunge (und Nase).
Die häufig gestellte Frage nach dem sogenannten 6. Sinn geht von der Annahme aus, der Mensch habe nur diese 5 Sinne. In Wirklichkeit haben wir viel mehr Sinne. Besonders erstaunlich finde ich, dass dabei immer der Gleichgewichtssinn vergessen wird. Mit Hilfe von Statolithen können wir wie vermutlich alle gesund lebenden Lebewesen die Erdanziehung spüren und wissen, wo unten ist (Gravitationssinn). Mit Hilfe der Bogengänge im Innenohr können wir Beschleunigungen des Kopfes wahrnehmen. Wir können außerdem Temperatur, Schmerz und die verschiedensten Zustände des Körpers wahrnehmen. So messen spezielle Sinneszellen ständig die Anspannung jedes Muskels, die auf unsere Knochen wirkenden Kräfte sowie die Konzentrationen bestimmter Stoffe im Blut.

UV-Strahlen, das Magnetfeld der Erde und viele andere Umwelteinflüsse können wir nicht erkennen, weil wir für sie keine Sinnesorgane besitzen. Ein Umwelteinfluss ist für alle Spezies ein Reiz, die irgendwie auf ihn reagieren können und für die er daher eine Informationen darstellt. Gleichzeitig ist er kein Reiz für alle Lebewesen, die ihn nicht wahrnehmen können. Während Bakterien auf relativ einfache Weise Reize wahrnehmen, besitzen wir dafür Sinnesorgane und darin auf bestimmte Reize spezialisierte Sinneszellen. Beispiele dafür sind unsere Augen mit ihren auf Licht bestimmter Wellenlängen reagierenden Lichtsinneszellen, die Nase mit ihren auf bestimmte Moleküle in der Luft reagierenden Geruchssinneszellen sowie unsere Ohren, die auf Schallwellen mit Frequenzen zwischen 16 und 20.000 Hertz reagieren. Die Haut mit ihren Sinneszellen für Wärme, Kälte, Druck und Dehnung kann man ebenfalls als Sinnesorgan bezeichnen, es ist aber nicht üblich.

Es gibt auch Reize, auf die unsere Sinnesorgane reagieren und die trotzdem unpassend (inadäquat) sind, weil sie nicht der Aufgabe des Sinnesorgans entsprechen, da sie nicht die Informationen liefern, für die das Sinnesorgan eigentlich gemacht ist. So ist beispielsweise ein Schlag aufs Auge (Druck) kein adäquater Reiz für unsere Augen und deren Lichtsinneszellen. Bei eigentlich passenden Reizen wie dem sichtbaren Licht kann aber auch die Stärke unpassend für unsere Augen sein. Es sollte weder zu stark noch zu schwach sein.

Unsere Sinneszellen wandeln Reize zwar nicht um, aber sie reagieren darauf mit der Erzeugung elektrischer Signale, die sie durch Nerven zum Gehirn weiterleiten. Erst im Gehirn findet bei uns die eigentliche Wahrnehmung statt, denn erst dort interpretieren wir die Informationen und machen uns ein "Bild" von unserer Umwelt.

Reiz nach oben

Ein Reiz ist für ein Lebewesen das, was es wahrnehmen kann. Beispiele dafür sind süß, sauer, salzig, bitter oder scharf schmeckende Nahrungsbestandteile, Kälte, Hitze, Berührungen, Vibrationen oder Druck auf die Haut, Duftstoffe, Töne, sichtbares Licht, Schmerz und Gesichter.

Ein Umwelteinfluss ist nur für die Spezies ein Reiz, die irgendwie auf ihn reagieren können und für die er daher eine Information darstellt. Gleichzeitig ist er kein Reiz für alle Lebewesen, die ihn nicht wahrnehmen können. Ohne Lebewesen gäbe es keine Reize, weil ein Umwelteinfluss erst und nur dann ein Reiz ist, wenn er von einem Lebewesen wahrgenommen wird. Beispielsweise können wir Menschen UV-Strahlen und das Magnetfeld der Erde nicht erkennen, weil wir für sie keine Sinnesorgane besitzen. Vögel können das und deshalb sind diese Umwelteinflüsse für Vögel Reize und für uns nicht. Vereinfachend könnte man alles einen Reiz nennen, worauf irgend ein Lebewesen reagieren kann. Meines Erachtens führt die differenziertere Betrachtung aber zu einem besseren Verständis.

Ein Reiz ist nur für bestimmte Sinneszellen oder Sinnesorgane ein Reiz. Und ein adäquater Reiz ist er nur dann, wenn er zu der Aufgabe einer Sinneszelle oder eines Sinnesorgans passt und sie zu einer sinnvollen Reaktion veranlassen kann. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, handelt es sich um einen für diese Sinneszellen oder Sinnesorgane inadäquaten Reiz. Es kommt auch vor, dass ein Sinnesorgan auf inadäquate Reize reagiert, für die das Sinnesorgan eigentlich nicht gemacht ist. Beispielsweise erwartet das Gehirn von unseren Lichtsinneszellen Informationen über die räumliche Verteilung der Intensitäten bestimmter Frequenzbereiche des sichtbaren Lichts. Unpassend für unsere Lichtsinneszellen ist Druck. So ist beispielsweise ein Schlag aufs Auge (Druck) kein adäquater Reiz für unsere Augen und deren Lichtsinneszellen. Deshalb kann das Gehirn mit der Information nichts anfangen, wenn Lichtsinneszellen auf einen Schlag aufs Auge genau wie auf Licht reagieren. Die Reaktion der Sinneszellen auf den Schlag ist nicht angemessen (brauchbar) und deshalb ist auch der Schlag selbst kein adäquater Reiz.

Bei eigentlich passenden Reizen wie dem sichtbaren Licht kann aber auch die Stärke unpassend für unsere Augen sein. Es sollte weder zu stark noch zu schwach sein.

Schema der Wahrnehmung
Wahrnehmung
Dieses Schema soll ganz allgemein für alle Lebewesen veranschaulichen, wie Lebewesen Umweltreize wahrnehmen.
Reize können z.B. die Erdanziehung, elektrische oder Magnetfelder, Schall- oder elektromagnetische Wellen, Druck oder Druckschwankungen, Ionen oder Moleküle sein. Adäquat ist ein Reiz für ein Lebewesen nur, wenn es dafür einen passenden Empfänger besitzt.
Emfänger können Rezeptor-Moleküle, einzelne Sinneszellen oder oder bei höheren Tieren Sinneszellen in Sinnesorganen sein.
Die Wahrnehmung kann sich bei einzelligen Lebewesen auf Ketten molekularer Reaktionen beschränken. Sofern sie über ein Gehirn verfügen, können Tiere ihre Umwelt wahrnehmen, indem sie durch das Nervensystem von den Sinnesorganen übermittelte Signale auswerten, bewerten, unter Umständen mit Hilfe von Wissen interpretieren, ergänzen und korrigeren.
So kann die Wahrnehmung bei Bakterien vergleichsweise einfach und bei Menschen hochkomplex sein.

Sinneszelle und Sinnesorgan nach oben

Während Bakterien auf relativ einfache Weise Reize wahrnehmen, besitzen wir dafür Sinnesorgane und darin auf bestimmte Reize spezialisierte Sinneszellen. Sinnesorgan nennt man jedes Organ, das mit Hilfe speziell an den jeweiligen Reiz angepasster Sinneszellen auf Reize mit der Erzeugung elektrischer Signale reagiert, diese eventuell schon teilweise auswertet und schließlich elektrische Impulse durch Nervenzellen zum Zentralnervensystem schickt. Dort werden aus vielen übermittelten Signalen und Gedächtnisinhalten Wahrnehmungen zusammengesetzt und es entsteht ein für uns nützliches, aber nicht unbedingt realistisches "Bild" von unserer Umwelt.

Sinneszellen können Reize aus dem Körper oder aus der Umwelt aufnehmen und in elektrische Signale umwandeln. Beim Menschen befindet sich ein großer Teil der Sinneszellen in Sinnesorganen.

UV-Strahlen, das Magnetfeld der Erde und viele andere Umwelteinflüsse können wir nicht erkennen, weil wir für sie keine Sinnesorgane besitzen.

Die verschiedenen im Sinnesorgan Auge zusammengefassten Lichtsinneszellen sind ähnlich aufgebaut, weil sie sich in der Netzhaut unter sehr ähnlichen Bedingungen aus den selben Stammzellen entwickelt haben. Vor allem aber sind sie deshalb sehr ähnlich gebaut, weil sie sehr ähnliche Aufgaben haben. Die Sinneszellen im Sinnesorgan Ohr funktionieren anders und sehen deshalb auch anders aus als Lichtsinneszellen. So wie man besser mit einem Hammer als mit einer Schere hämmern und besser mit einer Schere als mit einem Hammer schneiden kann, so ist auch der Aufbau einer Sinneszelle an ihre Aufgabe angepasst. In biologischen Systemen wurde über lange Zeiträume jede Struktur an ihre Funktion angepasst. Deshalb besteht in der Biologie fast immer ein Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion.

Unsere Sinneszellen wandeln Reize zwar nicht um, aber sie reagieren darauf mit der Erzeugung elektrischer Signale, die sie durch Nerven zum Gehirn weiterleiten. Erst im Gehirn findet bei uns die eigentliche Wahrnehmung statt, denn erst dort interpretieren wir die Informationen und machen uns ein "Bild" von unserer Umwelt.

Wahrnehmung nach oben

Man sagt: "Wir sehen mit den Augen, riechen mit der Nase, hören mit den Ohren, schmecken mit der Zunge und fühlen mit der Haut". Das ist aber nicht wahr, denn man kann auch mit Hilfe eines Cochlea-Implantates hören. Und Blinde können mit Hilfe ihrer Ohren oder verschiedenster technischer Hilfsmittel bis hin zur Smartphone-App Bilder sehen. Das zeigt, dass wir in Wirklichkeit mit dem Gehirn hören, sehen, riechen, schmecken und fühlen. Bei Tieren mit Sinnesorganen und einem Gehirn meint man mit Wahrnehmung den Vorgang (und sein Ergebnis) im Gehirn, bei dem den in Form von elektrischen Signalen von den Sinnesorganen kommenden Informationen eine Bedeutung zugeordnet wird. Wir nehmen allerdings nicht nur Sinneseindrücke, sondern auch Gefühle in uns und in anderen Lebewesen wahr.

Aber braucht ein Lebewesen wirklich ein Gehirn, um etwas wahrzunehmen? Die meisten Lebewesen sind Einzeller und besitzen keine Sinneszellen. Trotzdem können sie sinnvoll auf Reize reagieren. Das wirft die Frage auf, wie sinnvoll es ist, Phänomene wie Reiz und Wahrnehmung nur für einen kleinen Teil der Lebewesen zu definieren. Wie soll man dann vergleichbares bei Einzellern nennen? Wie so oft in der Biologie, gibt es auch in diesem Fall unter Naturwissenschaftlern keinen einheitlichen Sprachgebrauch. So schreiben beispielsweise die namhafte Zeitschrift Spektrum der Wissenschaft und die frisch habilitierte Frau Dr. Kirsten Jung über Wahrnehmung bei Bakterien. Unter Mikrobiologen ist das nicht unüblich, während Humanbiologen dazu neigen, Pflanzen und anderen Lebewesen ohne Hirn die Fähigkeit der Wahrnehmung abzusprechen. Meiner Meinung nach sollten Biologen ihre Fachbegriffe so formulieren, dass die Definition möglichst viele Lebewesen umfasst. Also ist Wahrnehmung die Übersetzung eines Reizes oder mehrerer Reize in einen Eindruck von der Welt durch ein Lebewesen. Wahrnehmung kann außerdem das Erkennen bestimmter Zustände im eigenen Organismus sein.

Es gibt natürlich nur eine Welt, in der Menschen, Hunde und Fledermäuse gemeinsam leben. Aber jede dieser Tierarten nimmt die Welt anders wahr. Wenn Menschen nicht blind sind, achten sie hauptsächlich auf die Informationen, die ihnen ihre Augen liefern. Deshalb kann man den von uns wahrgenommenen Teil der Welt als Sehwelt bezeichnen. In diesem Sinne leben Hunde aufgrund ihrer sensiblen Nasen in einer Riechwelt und Fledermäuse in einer Hörwelt, weil sie mit den Ohren sehen. Welche Sinneseindrücke für eine Tierart besonders wichtig sind, dass verraten ihre Sinnesorgane. Tiere mit sehr gut entwickelten Augen wie die meisten Vögel oder Kraken leben in einer "Sehwelt". Tiere mit Supernasen wie Hunde oder Schmetterlinge leben in einer Riechwelt. Die riesigen Ohren der Fledermäuse verraten uns, dass sie in einer Hörwelt leben. Wirklich klare Grenzen zwischen diesen Sinneswelten gibt es aber nicht, denn beispielsweise Menschen, Eulen und Delfine können sehr gut sehen und hören. Manche Geier können ausgezeichnet sehen und riechen.

Verschiedene Tierarten und Pflanzen-Spezies können ihre Umwelten auch deshalb sehr unterschiedlich wahrnehmen, weil sich ihre Sinneszellen und Sinnesorgane deutlich unterscheiden. Ihre Sinneszellen reagieren auf unterschiedliche Reize. Aber selbst zwei Menschen sehen die selbe Umwelt nicht völlig gleich, weil sie in ihren Augen nicht exakt gleich viele Stäbchen und Zapfen für die unterschiedlichen Lichtfarben haben. Die Zahlenverhältnisse der Sinneszellen für verschiedene Lichtfarben sind nicht bei jedem Menschen und nicht einmal in beiden Augen eines Menschen gleich. Wer mehr Lichtsinneszellen für blaues Licht besitzt, sieht die Welt etwas blauer. Die Wahrnehmungen zweier Menschen unterscheiden sich aber auch, weil bei uns Menschen die Wahrnehmung viel stärker vom Gehirn als von den Sinnesorganen geprägt wird und weil die Interpretation der von den Sinnesorganen übermittelten Informationen durch das Gehirn nur teilweise angeboren ist. Jedes Gehirn findet seinen eigenen Weg, die von den Sinneszellen in den Sinnesorganen übermittelten Informationen zu interpretieren (Informationen Bedeutung zuzuordnen).

Illusion nennt man eine falsche oder zumindest verfälschte Wahrnehmung der Wirklichkeit oder eine irrtümlich als wahr angenomme Annahme über die Wirklichkeit. Im biologisch-medizinischen Sinne besteht unsere Wahrnehmung der Umwelt zu einem großen Teil aus Illusionen als Folge der ständigen Interpretation, Ergänzung und vermeintlichen Korrekturen von Sinneswahrnehmungen durch das menschliche Gehirn. In diesem Sinne sind Illusionen als vereinfachende Modelle der Wirklichkeit notwendig, um ausreichend schnell und sinnvoll auf sie reagieren zu können. Das führt aber nicht selten zu optischen Täuschungen.

akustische Wahrnehmung Hören nach oben

Hören ist die Wahrnehmung von Schall. Wir benötigen dafür das Sinnesorgan Ohr. Näheres dazu findet man im Lerntext Ohr. Aber die eigentliche Wahrnehmung erfolgt im Gehirn. Denn die von den Hörsinneszelle durch Nervenzellen zum Gehirn transportierten elektrischen Signale werden dort gemeinsam mit den Signalen von vielen anderen Hörsinneszellen zu einer Wahrnehmung verarbeitet.

Erreichen uns Schallwellen nicht genau von vorne oder hinten, dann wird ein Ohr minimal eher als das andere erreicht. Diese winzigen Zeitdifferenzen reichen dem Gehirn, um die Richtung zu berechnen, aus welcher eine Schallwelle kam.

optische Wahrnehmung Sehen nach oben

Auge nennt man in Zoologie und Medizin bei Menschen und anderen Tieren ein Sinnesorgan mit Sinneszellen zur Wahrnehmung von Umwelt-Reizen in Form von Licht. Zum Thema Auge habe ich einen Lerntext Auge.

Jede Materie mit einer Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunktes strahlt elektromagnetische Strahlung ab. Mit zunehmender Temperatur nimmt die Intensität der Strahlung zu und ihre durchschnittliche Wellenlänge nimmt ab. Optimal für unsere Augen ist die auch Licht genannte elektromagnetische Strahlung, die von oberflächlich etwa 6000 Grad Celsius heißen Körpern wie der Sonne abgestrahlt wird. Nachts können wir selbst Licht erzeugen, indem wir Stoffe verbrennen oder erhitzen. Wir können Licht zur Wahrnehmung unserer Umwelt nutzen, weil die meisten Gegenstände in unserer Umwelt Licht reflektieren oder nur ein Teil seines Farben-Spektrums durchlassen. So erreichen von den Gegenständen ausgehende Lichtstrahlen unsere Augen. Dabei ist wichtig, dass ein Gehirn bei der Berechnung eines Bildes davbon ausgehen kann, dass in Abwesenheit extremer Massen die Lichtstrahlen alle ganz gerade sind. In der Netzhaut können Lichtsinneszellen auf Licht passender Wellenlängen reagieren. Die elektrischen Signale der Lichtsinneszellen werden (schon in der Netzhaut) kontrastverstärkend verarbeitet. Unter Zuhilfenahme von Erinnerungen werden im Gehirn die von beiden Augen kommenden Informationen zu einem räumlichen Bild zusammengesetzt. Dabei nehmen wir bevorzugt wahr, womit wir uns gerade beschäftigen und was wir kennen.

Wir kennen die ungefähren Größen vieler Gegenstände und wissen in etwa, wie stark deren scheinbare Größe mit der Entfernung abnimmt. Unser Gehirn versucht immer, die Bilder stimmig zu machen, indem es die wahrgenommenen Entfernungen an die gesehenen Größen anpasst. So können wir sogar auf Fotos Entfernungen abschätzen. Wir reagieren verwirrt, wenn es uns nicht gelingt, Wahrnehmungen mit Hilfe logischer Erklärungen mit unseren Erinnerungen in Einklang zu bringen.

Das Sehfeld oder Gesichtsfeld gibt an, wie groß der Bildausschnitt ist, den ein Tier, ein Fernglas oder eine Kamera von der Umgebung sehen kann. Man kann das Seh- oder Gesichtsfeld angeben als Bildbreite in 1000 Metern oder als Bruchteil von 360 Grad. Ist nur ein Auge oder Objektiv beteiligt, dann spricht man von einem monokularen Gesichtsfeld. Setzt ein Gehirn sein Gesichtsfeld aus den Informationen zweier Augen zusammen, denn spricht man von einem binokularen Gesichtsfeld oder Sehfeld.

Tauben sind Fluchttiere, die Fressfeinde rechtzeitig entdecken müssen. Da trifft es sich gut, dass sie alles sehen können, was sich vor oder seitlich von ihnen befindet, weil ihre Augen seitlich am Kopf liegen. Katzen hingegen sind relativ wehrhafte Raubtiere, die nur selten von größeren Raubtieren gejagt werden. Sie brauchen deshalb nicht so dringend einen Rundumblick und können sich zwei nach vorne gerichtete Augen leisten. Das hat den Vorteil eines deutlich größeren Anteils des Gesichtsfeldes, der von beiden Augen aus etwas unterschiedlichen Blickwinkeln gesehen wird. Das Gehirn kann aus diesen beiden etwas unterschiedlichen Bildern ein dreidimensionales, also räumliches Bild errechnen. Das wiederum ermöglicht die genaue Abschätzung von Entfernungen innerhalb dieses Teils des Gesichtsfeldes. Und das braucht die Katze, damit sie mit einem Sprung genau auf einer Maus landet und nicht vor oder hinter der Maus.

Menschen sind keine Beutegreifer wie beipielsweise Katzen, sondern von Natur aus Hetzjäger. Die genaue Abschätzung von Entfernungen war deshalb während der Jagd nicht so wichtig. Außerdem war der Mensch immer auch ein Beutetier, für das ein Rundumblick nicht schlecht wäre. Trotzdem sind unsere Augen nach vorne gerichtet, weil unsere frühen, noch nicht menschlichen Vorfahren Beutegreifer waren, wie heute noch die Schimpansen. Außerdem sprangen unsere nichtmenschlichen Vorfahren in Bäumen von Ast zu Ast und durften sich dabei nicht hinsichtlich der Entfernungen verschätzen. Heute hilft uns dieses uralte Erbe des räumlichen Sehens beispielsweise beim Sport und im Straßenverkehr und allgemein beim Gebrauch unserer Hände, die neben dem Gehirn unsere wichtigsten Werkzeuge sind. Allerdings beweist die neukalidonische Krähe, dass auch Tiere mit seitlich am Kopf liegenden Augen virtuose Meister des intelligenten Werkzeug-Gebrauchs sein können.

Plastizität der Wahrnehmung nach oben

Es ist lange bekannt, dass blinde Menschen nicht selten besonders gut Hören und/oder Fühlen. Das menschliche Gehirn kann bei Bedarf Sinne schärfen. Dabei kann das Gehirn aber auch Fehler machen und beispielsweise die sogenannten Phantomschmerzen "in" nicht mehr vorhandenen Körperteilen empfinden. Ein weiteres schon länger bekanntes Beispiel für die Flexibilität des menschlichen Gehirns bei der Wahrnehmung äußerer Reize ist die Synästhesie. Die betroffenen oder derart begabten Menschen reagieren mit mindestens zwei verschiedenen Wahrnehmungen auf nur einen äußeren Reiz. Immer wenn ihre Augen eine bestimmte Farbe melden, nehmen manche Synästhetiker beispielsweise gleichzeitig einen bestimmten Geruch wahr oder hören einen Ton. Diese natürliche Plastizität der Wahrnehmung kann man nutzen. Zum Beispiel können die Gehirne von Blinden lernen, aufgrund der Echos selbst erzeugter Klicklaute Bilder, also optische Wahrnehmungen zu konstruieren. Auf diese ist der blinde Daniel Kish in der Lage, sich auf einem Fahrrad durch den Straßenverkehr zu bewegen. Inzwischen werden unter anderem in Deutschland blinde Kinder in der aktiven bildgebenden Echoortung unterrichtet. Andere Blinde sehen mit Hilfe eines Zungen-Displays.

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Roland Heynkes, CC BY-NC-SA 4.0

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