Dokumentation: "Der Proteom-Code - Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur"

Roland Heynkes, 4.11.2018

Immer wieder in der Geschichte der Menschheit haben Medizin und Naturwissenschaften sprunghafte Fortschritte gemacht, wenn es Forschern gelang, bis dahin allgemein anerkannte Vorstellungen von bestimmten Aspekten des Lebens als Irrtümer zu entlarven. Ein das Nachdenken über das Diagnostizieren und Therapieren von Krankheiten behindernder Irrtum war die von Schulbüchern bis heute verbreitete Vorstellung, der Zellkern sei die Kommandozentrale der Zelle. Gerade macht die Medizin wieder enorme Fortschritte, weil Mediziner und Naturwissenschaftler verstanden haben, dass der im Zellkern verwahrte Bauplan viel eher einem Kochbuch oder einer Bibliothek entspricht. Die wahren Akteure in den Zellen sind die Proteine. Denn während der Bauplan in allen Zellen nahezu gleich und weitgehend unveränderlich ist, unterscheiden sich die Zellen je nach Aufgabe und Zustand in der Zusammensetzung und den Aktivitäten ihrer Proteine. Auch aufgrund dieser Dynamik ist aber die Erforschung des Proteoms sehr viel komplexer als die Erforschung des Genoms einer Zelle oder eines Organismus. Deshalb ist die Proteom-Forschung eng verknüpft mit der Entwicklung der Bioinformatik und der Systembiologie, die heute ohne Supercomputer nicht mehr auskommen und nach der reinen Naturbeobachtung inzwischen auch das klassische biologische Experimentieren immer mehr ersetzen. Die im Folgenden besprochene Fernsehdokumentation soll in diese Evolution der Biologie einführen.

Man findet diese wichtige Dokumentation im Internet.

Gliederung

zum Text Sprecher der Proteom-Forschung
zum Text vom Gen zum Protein
zum Text molekulare Ursachen und Behandlungen von Krebs
zum Text Proteomik soll auch im Kampf gegen Zivilisationskrankheiten helfen.
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Sprecher der Proteom-Forschung nach oben

Prof. George Church an der Harvard Medical School Cambridge ist der wohl berühmteste noch lebende Genetiker und bekannt geworden durch seine Forschung im Bereich der synthetischen Biologie. Seine Arbeitsgruppe erstellt einen Atlas aller Zelltypen im Körper und ihrer Beziehungen untereinander. Er möchte eine Art Kochbuch entwickeln, mit dem man jeden beliebigen Zelltyp herstellen oder reparieren könnte. Er sagt, dass fast alle in seinem Labor entwickelten neuen Diagnoseverfahren und Therapien aus der Beschäftigung mit dem Proteom hervorgehen. Man könnte fehlende Proteine im Labor herstellen oder per Gentherapie im Patienten.

Prof. Jun Qin im Baylor College of Medicine sagt, dass man mit der Analyse des Genoms zwar enorme Fortschritte gemacht hat, dass es aber am Ende die Proteine sind, die man bestimmen und messen muss, um zu verstehen was sie tun und wie es zu Krankheiten kommt. In China hilft er beim Aufbau des Bejing Proteom Research Center. China lässt sich den Aufbau des neuen Wissenschaftskomplexes 2,3 Milliarden Dollar kosten. Dort stehen im ersten Stock die Massenspektrometer. In den Etagen 2 und 3 befindet sich die Laborbiologie wie Zellbiologie und Molekularbiologie. Und im vierten Stock gibt es die Bioinformatik mit einem Supercomputer. In diesem Forschungszentrum konzentriert China seine technischen und personellen Kapazitäten, aber angesichts der Komplexität der Probleme können auch sie die Proteomik nur im Rahmen einer weltweiten Vernetzung betreiben.

Prof. David Agus, University of Southern California Los Angeles erklärt, dass die Analyse der Proteine zeigt, was in der Zelle gerade tatsächlich geschieht. Er vergleicht das komplexe Wechselwirken der Proteine einer Zelle mit einem Gespräch in der Zelle oder einer Unterhaltung im ganzen Körper. Das möchte er visualisieren. Die Gene zeigen nur, was sein könnte. Früher hat man bei Patienten nur auf die DNA und die Ergebnisse krankmachender Prozesse gesehen. Die Proteomik eröffnet eine neue Dimension der Forschung, weil man die gerade passierenden Prozesse selber beobachten kann. Für Prof. Agus änderte sich die Idee bei der Therapie von Krebs mit einem interessanten Experiment. Damals behandelte man Brustkrebs-Patientinnen vor den Wechseljahren nach überstandener Chemotherapie mit einem Mittel zum Knochenaufbau, während man bei der Kontrollgruppe wie üblich einfach abwartete und beobachtete, ob wieder Tumore wuchsen. Die Behandlung mit dem Medikament zum Knochenaufbau reduzierte das Wiederauftreten des Krebses um 40%. Prof. Agus erklärt das damit, dass Brustkrebs oft im Knochen metastasiert. Verändert man die Proteome der Knochenzellen, dann kann das anscheined auch die Deregulierung der Krebszellen oder zumindest deren Umgebung entscheidend verändern. Für Prof. Agus ist krebs kein Substantiv, sondern ein Verb. Der Organismus bekommt keinen Krebs, sondern er macht ihn selbst. Man krebst und diesen Prozess gilt es zu beenden. Er glaubt aber durch die Proteomik selbst auch noch entscheidende Fortschritte bei Krankheiten wie Alzheimer erleben zu können.

Prof. Burkhard Rost, Lehrstuhl für Bioinformatik, Technische Universität München glaubt, dass man das System Zelle eines Tages wird verstehen können, wenn man alle ihre Proteine analysiert. Sein Team versucht mit rechnergestützten Modellen die Struktur und das Verhalten von Proteinen vorherzusagen. Als Basis benutzen sie dafür die biochemisch und biophysikalisch (vor allem durch Röntgenstrukturanalysen) ermittelten Struktur-Daten von den Proteinen. Er betont, dass Proteine in Netzwerke eingebunden sind und dass man sie deshalb nicht verstehen kann, wenn man sie isoliert (einzeln) betrachtet. Er erklärt auch einen wichtigen grundsätzlichen Wandel im biologischen Experimentieren. Früher wurden Experimente geplant, die Hypothesen bestätigen oder widerlegen sollten. Versucht man aber mit klassischen Experimenten Protein-Netzwerke zu erforschen, dann bekommt man keine klaren Antworten mehr. Seit gut einem Jahrzehnt werden auch deshalb zunehmend riesige Mengen bereits vorhandener Daten durch Computerprogramme analysiert, um zu verstehen, was die vorhandenen Daten hergeben. Diesem Zweck dienen auch riesige Datenbanken, in denen weltweit durch biomedizinische Forschung gewonnene Daten gesammelt und für die computerunterstützte Analyse verfügbar gemacht werden. Deshalb ist heute die Bioinformatik ein unverzichtbarer Teil der Biologie. Prof. Rost sieht eine Entwicklung zu einer Medizin, die genetische Dispositionen zu bestimmten Krankheiten erkennt und dann gezielt so in das Proteom-System eingreift, dass die Prädisposition nicht wirksam wird.

Für die Leiterin der Kinderonkologie der Charité Berlin Prof. Angelika Eggert ist es natürlich entscheidend, ihren jungen Patienten die oft nutzlosen Schmerzen der "dummen" Chemotherapie zu ersparen, indem sie die Krankheitsursache jedes einzelnen Kindes ermittelt und diese dann gezielt behandelt. Mit gezielteren Therapien hofft sie, die Heilungsraten ihrer jungen Krebspatienten weiter zu steigern. Sie nennt ihre neue Therapie-Option molekulare Therapie und betrachtet die damit von ihr durchgeführten Behandlungen kindlicher Tumore als Modelle für mögliche Krebsbehandlungen älterer Patienten. Denn kindliche Tumore sind genetisch und epigenetisch weniger kompliziert als Tumore vieler Erwachsener, die viel mehr Zeit hatten für Mutationen und epigenetische Einflüsse. Sie nennt Tumorzellen in dem Sinne intelligent, dass sie lernen, sich gegen das zu wehren, womit Ärzte sie angreifen. So bilden Tumorzellen beispielsweise Pumpen, mit denen sie Medikamente aus den Zellen befördern. Deshalb kommt es besonders oft zu Rückfällen, wenn man versucht, Patienten mit nur einer Art von Chemotherapie zu behandeln.

Prof. Bernhard Küster, Lehrstuhl für Proteomik und Bioanalytik an der Technischen Universität München hat mit seinem Team schon mehr als 18.000 Proteine im menschlichen Körper kartiert, weil auch für ihn die Proteine die handelnden Akteure in lebenden Systemen sind. Denn sie stellen nicht nur die Struktur-Elemente, sondern auch die meisten Steuerelemente der Zelle. Zellen und Organe sollen etwa 10.000 verschiedene Proteine enthalten. Auch das verschiedenen Krebsarten gemeinsame Kernproteom wurde inzwischen ermittelt. Wie seine Kollegen betrachtet auch Prof. Küster das Genom als ein statisches Archiv von Informationen, während die Proteine agieren. Nachdem er weiß, welche Proteine im menschlichen Körper vorkommen und wo sie sich in welchen Mengen befinden, erforscht er nun die Funktionen der Proteine. Von Tausenden kennt man die Funktionen nämlich noch nicht. Und er möchte die Auflösung seiner Protein-Kartierung erhöhen.

Prof. Matthias Mann im Max-Planck-Institut für Biochemie München betrachtet ebenfalls die Proteine (Enzyme und Struktur-Proteine) als die Macher im Körper, während er im Genom lediglich die Blaupause sieht. Er gehört zu den Pionieren der Proteomik, weil er die Massenspektrometrie zu einem Instrument der Protein-Analyse entwickelte. Damit lassen sie Zehntausende Proteine in einer Zelle nachweisen.

Prof. Steven Austad, University of Alabama Birmingham forscht mit seinem Team an extrem langlebigen Tieren wie Muscheln. Er ist überzeugt, dass man die Proteine bzw. deren korrekte Faltung in den Zellen schützen muss, um lange gesund zu bleiben. Nicht immer verlieren sie sonst nur ihre Funktion, sondern manchmal werden sie sogar gefährlich. Manchmal kann man an einem einzelnen Gen herum spielen und damit die Lebenserwartung eines Tieres um 50-60% erhöhen. Aber um die Effekte wirklich zu verstehen, muss man die Zelle als ein komplexes System erfassen. Denn wenn man in einem komplexen System ein Teil ändert, dann hat das nicht nur eine Folge, sondern viele. Darum sieht auch Prof. Austad die Notwendigkeit eines Systemansatzes, der das gesamte molekulare Netzwerk einer Zelle erfasst. Und sein für ihn spannendstes Projekt ist die Steigerung der Lebenserwartung durch Pflege des Proteoms.

Privatdozentin Dr. med. Anne Letsch, Medizinische Klinik für Hämatologie und Onkologie im Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité sucht zunächst in den Signalwegen und genetischen Veränderungen der Tumorzellen die molekularbiologischen Ursachen der Deregulation in einem Tumor, um dann mit einem Medikament gezielt gegen Schwachstellen eines Tumors vorzugehen.

Prof. Ulrich Keilholz, Charité Comprehensive Cancer Center weiß, dass der klassische Versuch der Ausrottung der letzten Tumorzelle durch Operation, Bestrahlung und Chemotherapie oft misslingt. Er vermutet, dass viele Menschen Tumorzellen in sich tragen, ohne je krank zu werden. Deshalb versucht er durch interdisziplinäre Kooperation von Medizinern, Biologen und Informatikern mit molekularen Therapien zu verhindern, das Tumore wachsen und metastasieren. Dazu will er wissen, was die Proteine in der Tumorzelle anders als in der benachbarten normalen Zelle machen und wie bzw. womit man darin eingreifen kann. Untersucht man Tumore derart detailliert, dann zeigt sich, dass jede einzelne Metastase in jedem Patienten einzigartig ist. Prof. Keilholz sagt, dass man damit nicht arbeiten kann. Die Heterogenität der Tumore eines Patienten macht die Behandlung derart komplex, dass sie nur noch mit massiver Datenverarbeitung (Big Data) beherrschbar ist. Nur so lassen sich unter Tausenden molekularen Veränderungen Gemeinsamkeiten und Prinzipien erkennen. Außerdem führt man im Computer Simulationen durch, die zeigen, ob es vielleicht ein schon bekanntes Medikament gibt, das alle Tumore eines Patienten bekämpfen könnte. Dafür braucht das von ihm geleitete Charité Comprehensive Cancer Center viele schnelle Computer und fähige Informatiker. Prof. Keilholz glaubt, dass Erkenntnisse aus der interdisziplinären und personalisierten Medizin auch zu Fortschritten in der klassischen Medizin führen werden.

Prof. Frederick Klauschen und seine Arbeitsgruppe Systempathologie in der Molekularpathologie im Institut für Pathologie der Charité identifizieren und bewerten in der Charité Tumorzellen. Dazu macht sein Labor sehr feine Schnitte von Tumorgewebe und benutzt spezielle Farbstoffe, um Strukturen in den Zellen sichtbar zu machen. Typisch für Krebsgewebe ist, dass die Zellkerne der Krebszellen sehr unterschiedlich aussehen. Nach wie vor ist die morphologische Unterscheidung zwischen normalen, gutartigen und bösartigen Tumorzellen auch durch eine Chromosomen-Untersuchung die Grundlage jeder Krebsbehandlung. Aber dann folgt etwas neues, denn die krankhaft veränderten Bereiche der Gewebeschnitte werden von den Objektträgern geschabt und kommen in eine Maschine, die das molekulare Profil der Krebszellen ermittelt. Dazu gehören die DNA-Sequenzierung, aber auch die Zusammensetzung der Proteine in den Zellen.

Frau Dr. rer. nat. Dido Lenze (aktuell anscheinend Diagnostic Liaison Manager) führte in der Untergruppe TRR54 der Arbeitsgruppe Experimentelle Hämatopathologie im Institut für Pathologie der Charité auch DNA-Sequenzierungen der neuesten Generation durch, um in Krebszellen sämtliche Veränderungen in der DNA zu identifizieren.

Prof. Amos Bairoch leitet die Arbeitsgruppe CALIPHO im Institut für Mikrobiologie und molekulare Medizin und ist Mitglied des quasi virtuellen Swiss Institute of Bioinformatice Genf. Er ist im Grunde der Gründer der wichtigen Datenbank Swiss Prot (heute Teil von UniProt) mit Informationen über alle bekannten Proteine. Denn er erkannte früh, dass die klassischen Experimente der Biologie nicht geeignet waren, mit der Komplexität der Proteome sinnvoll umzugehen. Unverzichtbar sind dafür riesige, für alle Naturwissenschaftler kostenlos verfügbare Datenbanken, Supercomputer und Computerprogramme, die gigantische Datenmengen durchforsten und relevante Informationen sinnvoll miteinander verknüpfen können. Dafür braucht man Bioinformatik, ohne die heute in der modernen Biologie nichts mehr läuft. Und an der Pflege der einzigartigen Protein-Datenbank arbeiten in der Schweiz ständig 150 Biologen und Computerexperten. Sie sammeln in der Datenbank nicht nur die Struktur-Daten, sondern auch alle bekannten Informationen über die biologischen Funktionen der Proteine.

Prof. Ioannis Xenarios in der Arbeitsgruppe Genetics and Bioinformatics nennt die Datenbank UniProt eine Enzyklopedie, die zu jedem bekannten Protein als eine Art Referenzmuster alles sammelt, was über dieses Protein bekannt ist. Das macht UniProt zur Basis der Datenanalysen.

Prof. Hans Lehrach, emeritierter Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik Berlin ist einer der Vorreiter des personalisierten Medizin. Zu ihren wichtigen Methoden gehört die Simulation von Wechselwirkungen zwischen deregulierenden Proteinen in Tumorzellen mit bekannten Wirkstoffen und Wirkstoff-Kombinationen bereits zugelassener Medikamente. Während man nicht einfach am Patienten herumexperimentieren kann, lassen sich im Computer Zehntausende Behandlungsmöglichkeiten virtuell durchtesten. Prof. Lehrach hält die Entwicklung einer modellgetriebenen Medizin für gesellschaflich unverzichtbar.

Dr. Bodo Lange ist Geschäftsführer des unter anderem von den Professoren Church und Lehrach mitgegründeten Berliner Unternehmens Alacris Theranostics, die Tumor-DNA von Patienten sequenziert und dann alle gefundenen Mutationen in ein Computermodell einsetzt. Bisher umfasst das Computermodell "nur" die Stoffwechselkettee einer einzelnen Zelle. Angestrebt werden Modelle, die auch das Zusamenwirken vieler Zellen eines Gewebes, verschiedener Gewebe eines Organs und sämtlicher Organe eines Organismus berücksichtigen. In solche Modelle sollen dann als Parameter die Patienten-Daten wie ein persönlicher Avatar auf molekularer Grundlage eingegeben werden. Dann sollen Simulationen zeigen, wie sich die Mutationen in den Tumoren eines Patienten im Computermodell auswirken. Dazu sucht die Software in den verfügbaren Datenbanken nach Konsequenzen der Mutationen und simuliert dann alle denkbaren Behandlungsmöglichkeiten. Die Notwendigkeit der personalisierten Medizin insbesondere in der Krebsbehandlung begründet Dr. Lange mit der extremen Unterschiedlichkeit der Tumore, die eine simple Einteilung in Lungenkrebs, Nierenkrebs etc. sinnlos macht.

Prof. Seth Grant, Centre for Clinical Brain Sciences Edinburgh untersucht, wie Mutationen in Nervenzellen zu fehlerhaften Proteinen führen, die dann die Bildung der Supermatrix aus molekularen Maschinen unter den postsynaptischen Membranen stören. Nachdem seine Arbeitsgruppe 2011 alle Proteine der Synapsen identifiziert hatte, stellten sie fest, dass Mutationen in den Genen für diese Proteine für 130 Hirnkrankheiten verantwortlich sind.

Prof. Markus Hengstschläger im Institut für medizinische Genetik Wien sagt vorher, dass in Zukunft Mikromaschinen durch menschliche Adern schwimmen und uns über zahlreiche ständig gemessene Parameter informieren werden. Er glaubt, unsere so gewonnen Gesundheitsinformationen würden beispielsweise im Falle eines drohenden Herzinfarktes automatisch zu einer Anmeldung in nächsten geeigneten Krankenhaus führen. Er kann sich sogar vorstellen, dass im Körper befindliche Mikromaschinen in manchen Fällen auch gleich die passende Therapie einleiten. Immerhin könnte die biomedizinische Armbanduhr um Erlaubnis fragen, ein in Kürze spürbar werdendes medizinisches Problem prophylaktisch behandeln zu dürfen. Er sieht aber auch gute Gründe für eine bioethische Diskussion darüber, ob man das alles wirklich braucht. Man sollte sich dann aber auch fragen, ob irgendwer das Recht hat, beispielsweise aufgrund eigener religiöser Überzeugungen anderen dergleichen zu verbieten.

vom Gen zum Protein nach oben

Früher dachte man, jedes Protein habe sein eigenes Gen. Heute ist klar, dass ein Gen der Bauplan vieler Proteine sein kann. Es können unterschiedliche Teile der DNA-Sequenz eines Gens in die mRNAs kopiert (Transkription + Splicing) werden. Auch die Übersetzung (Translation) einer mRNA kann zu unterschiedlichen Proteinen führen. Und die fertigen Proteine können nachträglich unterschiedlich modifiziert werden. So lässt sich erklären, dass wir zwar weniger als 23.000 Gene, aber schätzungsweise 1 Million Protein-Varianten im Körper haben.

Institute in aller Welt betreiben heute Proteom-Forschung, um die Wissenslücke zwischen den Genen und den Krankheiten zu füllen. Damit wird es möglich, relativ unspezifische und durch schwere Nebenwirkungen belastete Therapien durch eine individualisierte Medizin zu ersetzen, die ganz gezielt nur die Ursache der Erkrankung eines Individuums angehen.

Während das Genom weitgehend statisch ist, variiert das Proteom nicht nur von Zelltyp zu Zelltyp, sondern dynamisch in Abhängigkeit von Alter, Gesundheitszustand und Umwelt. Besonders deutlich wird das am bekannten Beispiel der Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling. Denn beide haben das selbe Genom, aber sehr unterschiedliche Proteome.

Man muss sich den menschlichen Organismus als ein hochkomplexes prozessierendes System vorstellen. Isolierte Betrachtungen einzelner Elemente sind zu wenig, um es zu verstehen. Deshalb brauchen wir jetzt Systembiologie und Bioinformatik, um entscheidend weiter zu kommen.

molekulare Ursachen und Behandlungen von Krebs nach oben

Zunächst muss man das oder die Proteine entdecken, die den Unterschied zwischen einer Krebszelle und ihrer noch normalen Vorläuferzelle ausmachen. Dann kann man Großrechner durch Datenbanksuchen und Simulationen nach bekannten Substanzen suchen lassen, die sehr wahrscheinlich die krankmachenden Proteine blockieren können. Aber Proteom-Forscher betrachten inzwischen Krebs, Diabetes und verschiedene Krankheiten des menschlichen Nervensystems nicht mehr als völlig verschiedene Krankheiten. Solche Krankheiten werden heute weniger als Erkrankungen eines Organs verstanden, sondern als Deregulierung molekularer Vorgänge. Und weil die Ursache für die Deregulierung bei jedem Patienten eine andere sein kann, braucht man auch eine individualisierte Therapie.

Sogar die Proteome in den Tumoren einer Krebspatientin unterscheiden sich vor und nach einer Chemotherapie. Denn manche Krebszellen passen sich an, entwickeln immer mehr Unterschiede zu normal regulierten Zellen und sind dann noch schwerer zu bekämpfen.

Oft sind in Tumorzellen zuviele Proteine vorhanden, die Wachstumssignale geben. Reduzieren Medikamente solche Wachstumssignale, kann sich ein Tumor zurückbilden. Aktuell richten sich nahezu alle Tumor-Medikamente gegen Proteine der Krebszellen.

Bei komplizierten und ungünstigen Krankheitsverläufen von Krebs-Patienten diskutieren Mediziner gemeinsam mit Biologen und Informatikern in der klinischen und molekularen Tumor-Konferenz des Charité Comprehensive Cancer Center auf der Basis des sich ständig ändernden Systems der Proteine einer Zelle über Möglichkeiten der Diagnose und Therapie. Zunächst müssen Pathologen wie Prof. Frederick Klauschen die Tumorzellen in einer Gewebeprobe identifizieren. Dann wird die DNA der Tumorzellen von Fachleuten wie Frau Dr. rer. nat. Dido Lenze sequenziert, um nach krank machenden Mutationen zu suchen, die aus der Literatur bekannt sind. Bioinformatiker lassen schließlich ihre Supercomputer in Datenbanken bekannter Wirkstoffe nach solchen suchen, die nach unzähligen Simulationen ein fehlerhaftes Protein so binden oder blockieren, dass eine Deregulation einer Tumorzelle korrigiert wird.

Proteomik soll auch im Kampf gegen Zivilisationskrankheiten helfen. nach oben

In schnell wachsenden und technologisch fortgeschrittenen asiatischen Gesellschaften nehmen aufgrund geänderter Lebensweisen die sogenannten Zivilisationskrankheiten explosionsartig zu. Hier soll die Proteomik helfen, nicht die Kontrolle über die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen zu verlieren. Ein besonders großes Problem in Ostasien ist Magenkrebs. In China ist es der Killer Nummer 1 oder 2.

Die Verschmelzung von Proteomik und Big Data oder die Integration von Biophysik, Biochemie, Biologie, Medizin und Bioinformatik zur Proteomik ist zum Vorbild moderner Biologie geworden. Die hier entwickelten Methoden könnten auch die Hirnforschung weiterbringen.

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Roland Heynkes, CC BY-NC-SA 4.0