Lerntext: "Wie forschen Biologen"

Roland Heynkes, 18.7.2021

Ich bin mir nicht sicher, ob man wirklich wissen muss, wie Biologen forschen. Aber ich stelle es hier dar wie ich es aus meiner Praxis kenne, weil sich das Forschen der Biologen kaum vom Forschen in anderen Naturwissenschaften unterscheidet. Und gebildete Menschen sollten meines Erachtens wissen, wie die naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung im Prinzip funktioniert.

Gliederung

zum Text die naturwissenschaftliche Methode
zum Text Phänomene bewusst beobachten
zum Text Entwicklung konkreter Forscherfragen
zum Text Entwicklung von Hypothesen
zum Text Experimente
zum Text Daten analysieren und interpretieren
zum Text Aus den Antworten ergeben sich neue Fragen.
zum Text Darstellung wissenschaftlicher Befunde oder Vorstellungen
zum Text

die naturwissenschaftliche Methode nach oben

Es gibt viele Möglichkeiten, etwas zu lernen. Eine davon ist die Naturwissenschaftliche Methode, der moderne Gesellschaften ihr Wissen in Fächern wie Physik, Chemie, Erdkunde und Biologie verdanken. Die naturwissenschaftliche Methode ist das Gegenteil schlichten Glaubens an das, was Andere behaupten. Es ist die Methode, mit der Naturwissenschaftler neues Wissen schaffen oder zumindest älteres, vermeintliches Wissen widerlegen. Der Unterschied zu anderen Methoden besteht darin, dass man nicht einfach glaubt, was man irgendwo hört oder liest. Stattdessen überlegt man sich, wie man das überprüfen könnte, was man vermutet oder zu wissen glaubt. Dazu denkt man sich Experimente oder Beobachtungen aus, mit denen sich zeigen ließe, ob eine Vermutung (Hypothese) richtig ist oder nicht.

Es beginnt immer damit, dass ein naturwissenschaftlich interessierter Mensch sich über eine Beobachtung wundert. Beispielsweise sehen die meisten von uns die Sonne fast jeden Tag zu verschiedenen Tageszeiten. Trotzdem dauert es Jahre, bis einem zum ersten Mal auffällt, dass die Sonne morgens und abends rötlicher als mittags aussieht. Beobachtet hatten wir das schon unzählige Male, aber jahrelang war es uns nicht bewußt geworden. Deshalb hatte es uns auch noch nicht gewundert. Über alltägliche Beobachtungen wundern wir uns erst, wenn sie uns bewußt werden. Deshalb ist der erste Schritt der naturwissenchaftlichen Methode eine bewusste Beobachtung verbunden mit Erstaunen. Der zweite Schritt ist die Frage nach der Ursache für die Beobachtung. Daraus folgt als drittes die Entwicklung einer oder mehrerer Hypothesen. So nennen Naturwissenschaftler ihre Vermutungen.

In diesem Fall könnte man vermuten, die Sonne ändere im Laufe des Tages ihre Farbe. Die Farbe des Sonnenlichts könnte aber auch durch die Luft verändert werden. Ganz wichtig ist nun die Klärung der Frage, ob ein Experiment eine der beiden Hypothesen widerlegen könnte. Denn nur wenn das der Fall ist, lässt sich die Frage naturwissenschaftlich klären. In diesem Fall wäre das nicht schwierig. Man müsste nur eine ferngesteuerte Kamera in den Weltraum schießen oder die Astronauten der Weltraumstation fragen, ob sich die Sonne täglich verfärbt. So ließe sich schnell feststellen, dass sich die Sonne im Tagesrhythmus nicht verfärbt. Damit wäre schon eine Hypothese widerlegt.

In einem zweiten Experiment könnte man dann mit einem Ballon in große Höhen aufsteigen und prüfen, ob sich vielleicht die Farbe des Sonnenlichtes ändert, wenn mit zunehmender Höhe die Dicke der Luftschicht abnimmt, welche das Sonnenlicht durchdringen muss. Tatsächlich würde dieses Experiment die Hypothese unterstützen, dass die Luft etwas mit der Farbe des Sonnenlichtes zu tun hat. Je dicker die zu durchdringende Luftschicht ist, umso rötlicher wird das Licht, das uns von der Sonne erreicht.

Die folgende Liste fasst die wichtigsten Schritte der Naturwissenschaftlichen Methode noch einmal übersichtlich zusammen:

  1. bewußte Beobachtung
  2. Frage nach der Ursache für die Beobachtung
  3. Hypothese zur Erklärung der Beobachtung
  4. Experiment zur Unterstützung oder Widerlegung der Hypothese
Schema zur Methode naturwissenschaftlicher Forschung in der Biologie
Schema biologische Forschung

Phänomene bewusst beobachten nach oben

Biologische Phänomene lassen sich in der Natur oder im Labor beobachten, aber auch durch das Analysieren gigantischer Datenmengen oder Computersimulationen. Es reicht aber nicht, ein Phänomen so zu beobachten, wie man spielende Kinder oder einen alten Menschen beim Überqueren einer Straße beobachtet. Es muss schon eine bewusste Beobachtung sein, bei der man etwas mit der Absicht eines Erkenntnisgewinns beobachtet oder wo man beim Beobachten erstmals erkennt, dass man gerade etwas besonderes, interessantes und Fragen aufwerfendes beobachtet.

Um bewusstes Beobachten handelt es sich beispielsweise, wenn wir technische Geräte wie Lupen oder Mikroskope, Ferngläser oder Teleskope, aber auch Cameras und Computer benutzen, um damit Dinge zu beobachten, die für uns mit bloßem Auge oder einfaches Nachdenken nicht erkennbar sind.

Oft hat erst die Erfindung neuer Geräte wie des Mikroskops oder neuer Techniken wie der DNA-Sequenzierung die Beobachtung vorher völlig unbekannter biologischer Phänomene ermöglicht. Beispiele dafür sind die Mikroorganismen und der allen bekannten Lebewesen gemeinsame genetische Code. Viele biologische Phänomene lassen sich aber auch ohne teure Geräte und Labore untersuchen.

Entwicklung konkreter Forscherfragen nach oben

Aus bewussten Beobachtungen biologischer Phänomene ergeben sich sofort Fragen nach Erklärungen für die Phänomene. So ergeben sich beispielsweise aus der Beobachtung zum Licht hin wachsender Pflanzen-Triebe die Fragen, welche Pflanzenteile auf welche Weise Licht wahrnehmen können und wie dann das Wachstum gesteuert wird.

Entwicklung von Hypothesen nach oben

Hypothesen werden entwickelt als Versuche, die Fragen nach den Ursachen oder Mechanismen hinter den beobachteten Phänomenen durch informiertes Raten zu beantworten. Informiertes Raten bedeutet, dass man vor dem eigenen Raten versuchen sollte, durch gründliche Literaturrecherche den aktuellen Stand der Forschung zu den konkreten Forscherfragen zu ermitteln. Wichtig ist dann, alternative Hypothesen zu noch nicht von Anderen beantworteten Fragen möglichst so zu formulieren, dass sie sich experimentell überprüfen lassen.

Experimente nach oben

Experimente im weiteren Sinne sind systematisch im Hinblick auf die Verifizierung oder Falsifizierung von Hypothesen oder auf die Erweiterung des Wissens geplante Untersuchungen zur empirischen Gewinnung von Informationen unter kontrollierten Bedingungen. Experimente in diesem erweiterten Sinne werden heute nicht nur mit Mess- und Beobachtungsgeräten durchgeführt, sondern zunehmend auch durch Computersimulationen oder das Analysieren gewaltiger Datenmengen, die oft schon für andere Zwecke gesammelt wurden.

Bei der Planung von Experimenten im engeren Sinne muss darauf geachtet werden, dass es Kontrollexperimente mit unveränderten Parametern und vergleichende Experimente mit jeweils einem veränderten Parameter gibt.

Daten analysieren und interpretieren nach oben

Die durch Experimente im engeren oder weiteren Sinne erhobenen Daten müssen sorgfältig analysiert und interpretiert werden. Dazu gehören eine Abschätzung der Messgenauigkeiten (Wie stark können gemessene Werte von den tatsächlichen abweichen?), der statistischen Signifikanzen (Wurden für zuverlässige Angaben überhaupt genügend Daten erhoben?) und die entscheidende Frage, was die gewonnenen Informationen bedeuten.

Naturwissenschaftler veröffentlichen ihre Beobachtungen und experimentell gewonnenen Daten zusammen mit ihren Interpretationen. Dadurch ermöglichen sie eine Diskussion mit den Fachkollegen, deren Kritik sehr wichtig ist, um die Daten möglichst gut und sicher zu verstehen.

Aus den Antworten ergeben sich neue Fragen. nach oben

Experimente können Hypothesen falsifizieren (widerlegen), unterstützen (wahrscheinlicher erscheinen lassen) und manchmal verifizieren (als richtig bestätigen). Aber fast immer führen sie außerdem zu weiterführenden Fragen und neuen oder erweiterten Hypothesen aufgrund einer differenzierteren Sicht der Dinge. Diese Hypothesen können dann wieder experimentell überprüft werden, was dann wiederum zu verfeinerten Hypothesen führt usw..

Mit der Zeit wird auf diese Weise mehr und mehr aus reiner Spekulation zusammenhängendes und als mehr oder weniger gesichert angesehenes Wissen mit Wissenslücken, das man insgesamt als Theorie bezeichnet.

Darstellung wissenschaftlicher Befunde oder Vorstellungen nach oben

Biologen benutzen unterschiedlichste Formen von Diagrammen, um sich selbst und Anderen Zusammenhänge, unübersichtliche anatomische Strukturen oder durch Beobachtungen bzw. Messungen gewonnene Datenreihen verständlicher oder überhaupt erkennbar zu machen. Für die verschiedensten Zwecke gibt es ganz unterschiedliche Arten von Diagrammen. Oft lässt ein Diagramm viel besser als ein Text erkennen, ob bzw. wie genau jemand eine Sache verstanden hat. In der Biologie bezeichnet man vereinfachende, schematische Darstellungen biologischer Strukturen als Diagramme, während man möglichst detailgetreue Darstellungen anatomische Zeichnungen nennt. Zahlreiche Beispiele für unterschiedlichste Diagramme findet man in der Wikipedia.

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Roland Heynkes, CC BY-NC-SA 4.0

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