NR ARVO
AU Sauerland,D.
TI Tod in Aachen "kein BSE-FaII"
QU Aachener Nachrichten 1996 Nov 6; 52(258): 1-3
VT
Patient aß jahrelang Tierfutter
Tod in Aachen "kein BSE-FaII"
Aachen/Göttingen (Eig.Ber./dos). Im Aachener Klinikum starb 1993 ein 62jähriger Tierhändler an den Folgen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Das bestätigte gestern die Pressestelle der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule Aachen. Der Mann erlag aber nach Auskunft des Göttinger Neuropathologen Professor Dr. Hans Kretzschmar der "klassischen Variante" der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, bei der "kein Anhalt dafür besteht, dass sie auf die Rinderseuche BSE zurückzuführen ist". Das besondere an dem Aachener Fall liegt darin, dass der Gestorbene jahrelang Tierfutter gegessen hatte. Diesen Sachverhalt haben Wissenschaftler des Aachener KIinikums und der Göttinger Universitätsklinik in einer britischen Fachzeitschrift für Medizin dargestellt. Im Gespräch mit den "Nachrichten" erläutert der Göttinger Spezialist für die Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung, Hans Kretzschmar, den Stand der Forschung.
(Das Interview im Wortlaut: Blickpunkt)
"In aIIen Fällen tödlich"
Der Experte Hans Kretzschmar zur Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Der 62jährige Tierhändler, der 1993 im Aachener Klinikum an den Folgen von Creutzfeldt-Jakob starb, und von dessen Fall sich die medizinische Forschung nun weitere Aufschlüsse über den Zusammenhang zwischen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und der Rinderseuche BSE verspricht, ist als klinischer Verdachtsfall von dem Göttinger Neuropathologen Professor Dr. Hans Kretzschmar autopsiert worden. Im Gespräch mit "Nachrichten"-Redakteurin Dorothee Sauerland gab Kretzschmar (43) gestern Auskunft über den Forschungsstand.
Nachrichten: Haben Sie aufgrund Ihrer Forschungen Hinweise für die Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen gewonnen? Kann inzwischen eindeutig von einem Zusammenhang zwischen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und der Rinderseuche BSE gesprochen werden?
Kretzschmar: Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit wurde 1922 beschrieben, also ziemlich genau 64 Jahre von der Erstbeschreibung der BSE. Im April 1966 wurde aber eine "neue Variante" der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in Großbritannien beschrieben. Diese neue Variante, an der in Großbritannien und Frankreich zusammen bisher 16 Patienten erkrankten, ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Rinderseuche BSE zurückzuführen. Es besteht aber kein Anhalt dafür, dass die "klassische Variante" der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf die BSE zurückzuführen ist.
Nachrichten: Wieviele Menschen sind Ihres Wissens nach in Deutschland an Creutzfeldt-Jakob bereits erkrankt und wieviele Todesopfer gibt es?
Kretzschmar: Wir haben in Deutschland bislang ausnahmslos Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen der klassischen Variante gesehen. Die Inzidenz dieser Krankheit (Fälle pro Million Einwohner pro Jahr) lag in Deutschland im Jahr 1994 bei 0,78, im Jahr 1995 bei 0,9. Nach unseren Erkenntnissen endet die Erkrankung in allen Fällen tödlich.
Nachrichten: Seit wann und nach welcher Methode arbeiten Sie die Creutzfeldt-Jakob-Fälle auf?
Kretzschmar: Das Bundesministerium für Gesundheit fördert seit 1993 eine systematische Untersuchung der Epidemiologie, Pathologie und Genetik der spongiformen Enzephalopathien (insbesondere Creutzfeldt-Jakob-Krankheit) in Deutschland. Dabei werden klinische Verdachtsfälle aus der gesamten Bundesrepublik von Göttinger Neurologen untersucht.
Da es die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und ähnliche Kankheiten auch als genetische Variante gibt, wird eine genetische Untersuchung an Blutproben vorgenommen. Hirngewebe wird (meistens nach dem Tod der Patienten) von uns histologisch und immunhistochemisch mit einem Antikörper gegen das Prionprotein (den vermutlichen Erregern, Anm. d. Red.) untersucht.
Nach den zuverlässigen Daten für die Inzidenz für die Jahre 1994 und 1995, ergibt sich dabei ein kleiner scheinbarer Anstieg. Wir führen diesen Anstieg darauf zurück, dass sich die Diagnostik verbessert hat, die Krankheit besser bei den Kollegen bekannt ist und der Bekanntheitsgrad unserer Studie und des Referenzzentrums gewachsen sind.
IN Es gibt nicht die "klassische Variante" der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, sondern ein breites Spektrum von Varianten der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass der Aachener Fall nicht auf BSE zurückzuführen ist. Welcher Vertreter der medizinischen Forschung hat gesagt, dass er sich von diesem Fall weitere Aufschlüsse über den Zusammenhang zwischen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und der Rinderseuche BSE verspreche. Der französische Veterinär M. Sarradet beschrieb bereits 1883 einen Fall von Scrapie bei einem Ochsen in Südfrankreich (Rev. Vétérinaire 1883; 3: 310-312). Die "neue Variante" der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit wurde nicht im April 1966, sondern 1996 beschrieben. Man kann nicht seriös behaupten, bisher seien in Großbritannien und Frankreich 16 Patienten an der neuen Variante erkrankt. Bestätigt wurde dies bisher nur für 15 Fälle, es gibt aber noch rund 10 weitere Verdachtsfälle und sicher gibt es noch eine Dunkelziffer. Diese benutzt ja auch Prof. Kretzschmar als Begründung für die Zunahme der bestätigten Fälle.
AD Dorothee Sauerland, Vereinsstr. 9, 52062 Aachen, Tel.: 0241/403279
SP deutsch
PO Deutschland
OR Prion-Krankheiten 7