NR AQFA

AU Keil,T.U.

TI Rinderwahnsinn: Quantité négligeable

QU Zahnärztliche Mitteilungen 1998; 88(260): 72-4

VT Epidemiologie
Rinderwahnsinn:
Quantité négligeable
Noch immer mehr Schein als Sein und für uns Deutsche kaum eine Bedrohung, die "Seuche" BSE. Dennoch lohnt es sich vielleicht, das derzeitige Wissen zu resümieren. Es zeigt sich, dass das Phänomen der BSE-Angst mehr unter psychopathologischen Aspekten zu betrachten wäre.
Die Furcht vor einer Ausbreitung der "Seuche" Rinderwahnsinn auf den Menschen hat schon Tausenden von Rindern das Leben gekostet. Ähnlich wie bei anderen modernen kollektiven Massenpsychosen - ich denke hier an die Furcht vor der Atomkraft, vor der Chemie, vor Genmanipulationen, vor einer AIDS-Epidemie - ist auch beim Thema BSE unter nüchterner Prüfung nur schwer eine Beziehung zwischen Anlaß und Wirkung zu erkennen. Höchstwahrscheinlich wäre es im Fall von BSE (Bovine spongioforme Enzephalopathie = Rinderwahnsinn) völlig ausreichend gewesen, die unsinnige Tiermehlverfütterung an Pflanzenfresser einzustellen und auf den Verzehr von Nervengewebe wie Hirn und Rückenmark zu verzichten, um die Bevölkerung wirksam vor einem Übergriff der "Seuche" zu schützen. Noch immer ist es nämlich kaum vorstellbar, dass der bloße Verzehr von Fleisch oder Innereien infizierter Tiere dem Menschen schaden könnte. Aber gerade schwer faßbare mögliche Bedrohungen scheinen sich als Ankerpunkt für die schweifenden Ängste einer nicht mehr im vollen Leben verwurzelten Zivilisation gut zu eignen.
Abb. 1: Bewegungsstörungen kennzeichnen BSE-Rinder.
Der Sachstand
Wir greifen aber vor: Zunächst ist es sicherlich wichtig, den Sachstand kurz zu resümieren. Ich beziehe mich hierbei auf die Darstellung in "Infektionsepidemiologische Forschung" 1/1997 des Robert-Koch-Institutes in Berlin sowie auf die ausgezeichnete Darstellung von Dr. R.H.Knauer in "Fortschritte der Medizin" 1997, Heft 34, S.44 bis 46: "Noch wenig Neues von der BSE-Front."
Nach diesen Analysen muß schon seit Jahrhunderten das Phänomen der Spongioformen Enzephalopathien (SE) bei Tier und Mensch bekannt gewesen sein: Scrapie beim Schaf, Rinderwahnsinn bei Kühen und schließlich die seit 1920 beim Menschen beschriebene Creutzfeldt-Jakob'sche Erkrankung. In allen Fällen geben Verhaltens- und Bewegungsstörungen dem Tode voraus, im Gebirn der verendeten oder verstorbenen Opfer häuft sich ein typisches Protein der Nervenzellmembran, Prämyloid oder Prion genannt, das durch nicht ganz genau erkennbare Veränderungen vom Stoffwechsel des Gehirns nicht mehr entsorgt werden kann. Beim Menschen ist die SE - soweit unsere Beobachtungszeit zurückreicht - mit konstanten Raten von 1/1000000/Jahr recht selten. Als Hauptinfektionsquelle wird von den Verfechtern der Seuchentheorie das mit Scrapie verseuchte Schaf angegeben. Gegen die Stichhaltigkeit dieser Annahme spricht jedoch die gleiche Creutzfeldt-Jakob-Rate in endemischen Scrapie-Ländern wie England oder Island und in Scrapie-freien Gebieten wie Australien oder Neuseeland. Die vom Verfasser dieser Zeilen noch aus seiner Studienzeit 1964 his 1975 erinnerliche Ruhe der SE-Forschung (Spötter bezogen die Langsamkeit der damals favorisierten "Slow Viruses" eher auf die Forscher denn auf die Erreger) wurde vor etwa zehn Jahren empfindlich gestört, als in Großbritannien eine Lawine von erkrankten Rindern registriert wurde. Seither mußten mehr als 160000 solche Tiere notgeschlachtet werden - bis heute ist allerdings nicht klar, ob die seit 1982 fehlenden Sterilisierungsmaßnahmen in den britischen Tiermehlfabriken daran schuld sind und ob sich die erkrankten Rinder tatsächlich an Erregern aus erkrankten Schafen oder aus sporadisch erkrankten Artgenossen angesteckt hatten - wenn sie sich denn überhaupt infiziert hatten, denn nicht einmal das scheint erwiesen, wenn auch wahrscheinlich zu sein.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Der Verfasser findet es in Ordnung, dass die Verfütterung von Tiermehl an Pflanzenfresser kritisch überdacht und wenn möglich eingestellt wird: Es ist schlichtweg eine Mißachtung der pflanzenfressenden Kreatur oder - wenn Sie es lieber so lesen - ein grober Verstoß gegen die artgerechte Haltung. Doch, das steht, so meine ich, auf einem anderen Blatt.
Erreger fehlen
Festzuhalten ist hier lediglich, dass es weder einen klaren Infektionsweg für Tier und Mensch gibt und auch keinen eindeutigen Erreger dieser Krankheit, die erst nach dem Nachweis eines solchen Erregers als Seuche einzustufen wäre. Andernfalls träte man alle bekannten Koch'schen Postulate mit den Füßen. Die 1997 mit dem Nobelpreis geschmückte Annahme, das Amyloid selbst könne (ohne Mitwirkung von informationstragenden Nukleinsäuren) der Erreger sein, steht auf sehr wackeligen Füßen, nicht nur, weil es der erste Sonderfall einer solchen Krankheitsübertragung ohne Erbmaterial wäre, sondern weil man bei Annahme dieser Hypothese davon ausgehen müßte, dass es nur eine einzige Form der SE geben könnte - allein in der Maus finden sich jedoch nach direkter Inokulation von BSE-Material in das Gehirn mehrere unterscheidbare Krankheitsformen.
So erscheint Prof. H. Diringer vom Robert-Koch-Institut in Berlin die Idee eines Minivirus als lnfektionserreger wesentlich reizvoller. Dem pflichtet der Verfasser gerne bei. Allerdings hat auch Diringers Hypothese den Nachteil, dass noch niemand derartige Miniviren gesehen hat.
Abb. 2: Auch Scrapiekranke Schafe leiden unter Bewegungsstörungen.
Inertes Material
Fest steht aber, dass - falls es sich um Erreger handelt - infektiöses Material nur schwer zu sterilisieren ist: Eine Stunde bei mehr als 130° heißem Dampf unter zwei Atü sind erforderlich, es reicht auch fünfprozentige Natriumhyperchlorid-Lösung oder zweimolare Natronlauge, was allerdings auch schwere Geschütze unter den Infektionsmitteln sind.
Immer ist aber für eine Inokulation zum Beispiel im Tierexperiment der normale Nahrungsweg unwirksam, da die "Erreger" offenbar direkt mit Gewebe des Zentralnervensystems oder zumindest mit Nervengewebe in Berührung kommen müssen. Gegen diese These sprechen auch nicht die 14 "neuen" Creutzfeldt-Jakob-Fälle (13 in Großbritannien, einer in Frankreich), die seit 1996 beobachtet wurden - der Übertragungsweg ist hier mehr als fraglich, ein bloßes Aufmerksamkeits-Artefakt kommt eher in Frage und - das ist das gewichtigste Argument - die Konstanz der Krankheitshäufigkeit in Scrapie-endemischen und freien Ländern läßt für die fundierbare Vorstellung der Übertragbarkeit der Erkrankung durch Verspeisen erkrankter Tiere keinen Raum.
Insgesamt scheint die Art-Grenze für die Erreger schwer überwindbar zu sein: Für die Induktion der SE in einer einzigen Maus benötigt man so viel Amyloidmaterial, wie es zur Induktion in eintausend Rindern reichen würde.
Nach Meinung des Verfassers ist die Auffassung, Menschen könnten sich bei normalem Fleischverzehr mit einer spongioformen Enzephalopathie (SE) infizieren, derzeit wissenschaftlich nicht erwiesen und eher unwahrscheinlich. Viel eher ist durch die beschriebenen "Unfälle" mit britischen Rindern die Aufmerksamkeit auf ähnliche spontane Krankheitsbilder beim Menschen gelenkt worden, die nichts mit den tierischen Formen der SE zu tun haben.
Best case/worst case
Die "Übertragungsexperimente" beim Tier könnten bei kritischer Sichtweise noch immer durch die Hypothese erklärt werden, dass die Übertragungstraumen genetisch präformierte Krankheitsbilder auslösen, ohne daß es zur Weitergabe irgendwelcher Erreger kommt. Das ist sozusagen der "best case".
Der "worst case" entspricht den schlimmsten Bildern der augenblicklichen Massenpsychose, nach der die möglichen Erreger bereits die verschiedensten Tierspezies durchdrungen und auch schon recht viele Menschen angesteckt haben, wobel der sicherste Ausweg aus der unausweichlichen Massenerkrankung nur der kollektive Selbstmord wäre - auch keine sehr konstruktive Lösung, scheint mir.
Wahrscheinlicher ist noch, dass die Wahrheit wieder einmal irgendwo zwischen beiden Annahmen, nicht jedoch in der Mitte, sondern eher im Fünftel der Best-case-Seite liegt. Wenn wir annehmen, dass nach Fortfallen der Fettextraktion des Tiermehls mit Chloroform und dem gleichzeitigen Einstellen der Dampfsterilisation im Jahre 1982 über das Tiermehl von spontan erkrankten Rindern Artgenossen vermehrt angesteckt wurden, die die widernatürliche kannibalistische Ernährung mit einem Nachlassen der Abwehr gegen den möglichen Erreger quittierten, dann bestünde über den Verzehr von Hirn und Rückenmark solcher infizierter Tiere tatsächlich eine Gefahr für die Konsumenten. Mit dieser Hypothese könnte man dann unter Umständen auch die neuartige Creutzfeldt-Jakob'sche Erkrankung bei den zitierten 15 Patienten als Folge einer derartigen Infektion über ZNS-Gewebe erklären.
Wie sähe dann die Bedrohung hierzulande in Deutschland aus? In der von den Epidemiologen auf Basis der letztgenannten Hypothese errechneten Inokulationszeit vor 1988 kam nur wenig Rindfleisch aus Großbritannien nach Deutschland, weniger als ein Promille des Verzehrs. In den meisten Fällen kam tatsächlich bereits das überhaupt nicht als infektiös geltende Muskelfleisch über den Kanal, nicht aber das hier kaum verzehrte ZNS-Gewebe. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch in Deutschland noch kein einziger "neuer" SE-Fall aufgetreten ist, vielmehr beobachtet man die Creutzfeldt-Jakob'sche Erkrankung trotz intensiver Beforschung mit bislang unveränderter Häufigkeit.
Fazit
Wenn die Bedrohung durch tierische spongioforme Enzephalopathien in Deutschland derart minimal ist, so fragt man sich, wer eigentlich hinter den überaktiven Reaktionen der Medien und Behörden steckt. Ich kann hier diese Frage nur stellen, nicht aber beantworten.
Auffällig ist aber, dass die Chance, sich so viel leichter mit Malaria, Hepatitis, Flußblindheit oder gar HIV zu infizieren, in der Öffentlichkeit vielfach schlicht ignoriert wird - obwohl es sich ebenfalls um therapieresistente Erkrankungen handelt, die zum Teil auf Vorbeugungsmaßnahmen reagieren. Hier scheint mir der eigentliche Handlungsbedarf geboten zu sein, nicht auf den Schlachthöfen oder in den Tierkörperverwertungsbetrieben.
Dr. Till Uwe Keil

IN Einleitend zeigt der Autor, wes Geistes Kind er ist. Für ihn, einen zynischen Verharmloser, ist die Sorge vor der Übertragung von BSE auf Menschen genau wie die Ängste vor Atomkraft, Chemie, Genmanipulationen oder AIDS, nichts anderes als eine Massenpsychose in "einer nicht mehr im vollen Leben verwurzelten Zivilisation". Gepaart ist diese überhebliche Haltung wie so oft mit Unkenntnis und Fehleinschätzungen.
Noch harmlos sind grammatikalische Fehlleistungen wie "hat schon Tausenden von Rindern das Leben gekostet", "daß es weder einen klaren Infektionsweg für Tier und Mensch gibt und auch keinen eindeutigen Erreger" und "eine Stunde bei mehr als 130° heißem Dampf", oder seltsame Wortschöpfungen wie "Prämyloid" und "Creutzfeldt-Jakob-Fälle".
Schon bedenklicher ist die Ansicht des Autors, die Tiermehlverfütterung an Pflanzenfresser sei unsinnig. Das ist sie natürlich nicht, denn sie reduziert die Entsorgungskosten durch Recycling und stellt gleichzeitig eine billige Eiweißquelle dar. Wer das nicht weiß, versteht natürlich auch nicht die ökonomisch motivierten Widerstände gegen eine unschädliche Beseitigung von Tierkörperabfällen.
Offensichtlich weiß der Autor überhaupt nicht, worüber er schreibt. Er übersieht, dass Tiermehl nicht der einzige aus Säugern gewonnene Bestandteil von Rinderfutter ist. Er weiß auch nicht, dass Bolzenschußapparat und Rückenmarkzerstörer Hirngewebe über den Blutstrom im ganzen Tierkörper verteilen [ANDF] und das bereits Infektiosität im Muskelgewebe einer mit Scrapie infizierten Ziege nachgewiesen wurde [ANBJ]. Nur so ist zu erklären, dass der Autor keinen Handlungsbedarf auf den Schlachthöfen und Tierkörperverwertungsbetrieben sieht und sich kaum vorstellen kann, dass der bloße Verzehr von Fleisch oder Innereien infizierter Tiere dem Menschen schaden könnte. Aber was kann man auch von einem Autor erwarten, der sich anmaßt, auf der Grundlage von lediglich zwei Referenzen den Sachstand eines Forschungsgebietes zu resümieren, welches allein in der medizinischen Datenbank Medline mit über 10.000 Artikeln vertreten ist. Dabei traut sich dieser Autor sogar die Kompetenz zu, die eine der beiden Darstellungen als ausgezeichnet zu charakterisieren.
Auf völliger Unkenntnis beruht auch das Hauptargument des Autors. Er behauptet, die Häufigkeit der Spongioformen Enzephalopathien beim Menschen liege in Ländern mit und ohne Scrapie seit Beginn des Beobachtungszeitraumes unverändert bei 1/1000000 pro Jahr. Dabei übersieht er geflissentlich, dass schon die Zahl der amtlich erfaßten Creutzfeldt-Jakob-Toten in Ländern mit funktionierenden passiven Meldesystemen deutlich höher liegt und steigt. Er macht sich nicht einmal klar, dass es mit Ausnahme ganz weniger Länder keine brauchbaren Daten über die Häufigkeit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gibt und daß sich Ländervergleiche angesichts der unterschiedlichen, aber immer hohen Dunkelziffer verbieten. Sogar noch wesentlich unsicherer ist unser Wissen über die tatsächliche Häufigkeit von Scrapie. Angesichts der fast überall mangelhaften und nirgendwo weiter als wenige Jahre zurückreichenden Statistiken und des relativ geringen Anteils von Schafprodukten in Nahrung, Medikamenten und Kosmetika, konnten leichte regionale Unterschiede der CJK-Häufigkeit aufgrund von Scrapie-Infektionen kaum auffallen. Deshalb wurden nur besonders auffällige CJK-Häufungen in der Slowakei und unter Juden lybischer Abstammung bekannt, die mit verstärktem Genuß von Schafgehirnen in Verbindung gebracht wurden, jedoch sher wahrscheinlich erblich bedingt sind. Wie ich bereits 1995 in einem auch auf meinen Internetseiten nachlesbaren Übersichtsartikel dargelegt habe [ANDB], sind außerdem direkte Scrapie-Infektionen sehr wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht tödlich. Richtig gefährlich werden sie erst, wenn die durch Scrapie-Infektionen induzierte noch nicht tödliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf andere Menschen übertragen wird.
Erstaunlich ist auch die durch nichts belegte Behauptung des Autors, in den britischen Tiermehlfabriken hätten seit 1982 Sterilisierungsmaßnahmen gefehlt. In Wirklichkeit erfolgte die Umstellung auf ernergiesparende Verfahren mit gesteigertem Durchsatz als Reaktion auf die erste Ölkrise bereits sehr viel früher und nicht plötzlich, sondern allmählich über einen langen Zeitraum. [BIR1]
Völlige Unkenntnis ist dem Autor auch hinsichtlich des Begriffs Seuche zu attestieren. Dieser historische Begriff beschreibt das plötzliche Erkranken zahlreicher Individuen an einer schweren, ansteckenden Krankheit. Dies schließt selbstverständlich auch Krankheiten ein, bei denen noch keine genauen Kenntnisse über die Natur des Erregers vorliegen. Umstritten ist die Verwendung des Begriffes Seuche im Zusammenhang mit BSE, Scrapie und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit wegen der relativ geringen Infektiosität.
Leider hat der Autor auch die Prion- oder protein only Hypothese nicht verstanden. In Wirklichkeit ist eine von Nukleinsäuren unabhängige Vererbung durch Konformationsänderngen von Proteinen bei Hefe längst bekannt und hinsichtlich der korrekten Interpretation der vorhandenen Daten im Sinne der Prion-Hypothese verweise ich auf meine ausführliche Darstellung von 1995 [ANDB]. Nur dem Laien und einer kleinen Zahl verbissener Anhänger der längst widerlegten Virus/Virion-Hypthese erscheint die protein only Hypothese neuartig und unverständlich und längst haben z.B. Bessen et al. die Vereinbarkeit der Prion-Hypothese mit der Scrapie-Stammvariabilität nachgewiesen [AODT]. Wenn ein Wissenschaftsjournalist eine Hypothese nicht versteht und deren wissenschaftliches Fundament nicht kennt, dann sollte er eben nicht nur mit den wenigen Gegnern dieser Hypothese, sondern auch mit deren Befürwortern sprechen.
Ganz übel ist es, wenn der Autor Natriumhypochlorid als Natriumhyperchlorid bezeichnet und im krassen Widerspruch zu publizierten experimentellen Daten behauptet, eine Stunde in mehr als 130° heißem Dampf oder zweimolare Natronlauge reichten für eine Sterilisation der Prionen aus [ALNP].
Völlig unverständlich angesichts der Fülle publizierter oraler Übertragungen durch infektiöse Nahrung ist auch die Behauptung des Autors, der normale Nahrungsweg habe sich im Tierexperiment als unwirksam erwiesen. Ungehindert durch irgendwelche Sachkenntnis versteigt er sich sogar zu der Behauptung, die angebliche Konstanz der Krankheitshäufigkeit in Scrapie-endemischen und Scrapie-freien Ländern lasse für die fundierbare Vorstellung der Übertragbarkeit der Erkrankung durch Verspeisen erkrankter Tiere keinen Raum. Daher hält er die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit für ein "bloßes Aufmerksamkeits-Artefakt", obwohl auch diese Hypothese längst durch dichte Indizienkette praktisch widerlegt wurde.
Die Prionforschung ist sehr kompliziert und wer nicht wenigstens einige Hundert wissenschaftliche Artikel aus diesem Bereich gründlich gelesen hat, sollte kein Publikum mit seinen unmaßgeblichen Privatmeinungen belästigen und in die Irre führen. Das gilt insbesondere dann, wenn diese Meinung im Gegensatz zum fast einhelligen Konsens aller Experten steht. Die Meinung des Verfassers, BSE-Infektionen bei Menschen aufgrund normalen Fleischverzehrs seien eher unwahrscheinlich und die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit entstehe spontan und habe nichts mit tierischen TSE zu tun, kann man angesichts der erdrückenden Indizienlast nur noch als ignorant bezeichnen. Der gesunde Menschverstand hätte ihm sagen müssen, dass man angesichts der intensiven Beforschung in Deutschland und übrigens auch in Österreich längst auch hier das typische Erscheinungsbild der neuen Variante hätte finden müssen, wenn dieses unabhängig von BSE spontan entstünde. Zu dieser Selbstherrlichkeit paßt auch, dass der Autor eigenmächtig die TSE (transmissible spongiform encephalopathies) in SE (spongioforme Enzephalopathie) umbenennt und 180.000 britische BSE-Fälle als "Unfälle mit britischen Rindern" verniedlicht.
Natürlich hat der Autor noch nie etwas von Negativkontrollen bei Übertragungsexperimenten gehört und behauptet daher dreist, Übertragungsexperimente beim Tier könnten bei kritischer Sichtweise noch immer mit der Auslösung genetisch präformierter Krankheitsbilder aufgrund von Übertragungstraumen ohne Weitergabe irgendwelcher Erreger erklärt werden. Hielte dieser Journalist nicht alle an den Übertragungsexperimenten beteiligten Wissenschaftler für komplette Trottel, dann hätte ihm doch die Möglichkeit in den Sinn kommen müssen, dass vielleicht ihm selbst nur nicht alle Fakten bekannt waren. Dann hätte er eventuell sogar die methodischen Beschreibungen einiger Artikel genauer gelesen und nicht solchen gefährlichen Unsinn geschrieben. So aber beschreibt er sein Hirngespinst als die wahrscheinlichste Erklärung und die schlichte Realität für den kranken Ausfluß einer Massenpsychose, für die er nur Häme und Spott übrig hat.
Da ist es schon fast müßig zu erwähnen, dass Prionkrankheiten nichts mit nachlassenden Immunsystemen zu tun haben und das die Nennung des Jahres 1982 als Zeitpunkt für den Verzicht auf die Fettextraktion des Tiermehls mit Chloroform und ein gleichzeitiges Einstellen der Dampfsterilisation völliger Unsinn ist [BIR2].
Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuß der EU-Kommission geht angesichts von mehr als 13.000 zwischen 1980 und 1993 aus England importierten Rindern und angesichts tausender Tonnen ausgerechnet im gefährlichsten Zeitraum aus dem Vereinigten Königreich importierten Tiermehls bzw. Fleischknochenmehls verständlicherweise davon aus, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr als eine Handvoll BSE-infizierte Rinder nach Deutschland exportiert wurden und daß infektiöses britisches Tiermehl in nicht unerheblicher Menge an landwirtschaftliche Nutztiere in Deutschland verfüttert wurde [SSC]. Außerdem wurden tausende Tonnen britischen Rindfleisches nach Deutschland importiert. Auch wenn sich diese Menge noch im Promillbreich der gesamten in Deutschland verzehrten Rindfleischmenge bewegt, kann man diese Mengen nicht einfach vernachlässigen, wie dies der Autor tat. Hätte überdies Muskelfleisch wirklich als keinesfalls infektiös gegolten, dann hätte das BgVV wohl kaum schon 1998 vor dem Einsatz des Rückenmarkzerstörers gewarnt [BgVV] und dann wäre dieser kaum Ende 2000 EU-weit verboten worden [EUK].
Der Autor dieses zynisch arroganten Machwerkes fragt sich am Ende seines Artikels, wer wohl hinter den angeblich überaktiven Reaktionen der Medien und Behörden stecke. Hätte er mal im Internet nach Informationen über BSE gesucht, dann wäre er zweifellos auf meine Seiten gestoßen und hätte zumindest einen der "Schuldigen" benennen können. Hätte er meine mit zahlreichen links und Quellenangaben vollständig belegten Texte auch gelesen, dann hätte er vielleicht sogar einen weniger dummen Text verfaßt.
Literaturliste
AODT . Bessen,R.A.; Kocisko,D.A.; Raymond,G.J.; Marsh,R.F.; Lansbury,P.T.Jr.; Caughey,B. - Strain-specific cell-free formation of the prion protein - Journal of Cellular Biochemistry 1995; 1995(S21B): 101
BgVV . Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin - Mögliche Kontamination der Lunge von Rindern mit Hirngewebe - Eine Literaturanalyse - Stellungnahme des BgVV vom 02.07.1998 - http://www.bfr.bund.de/cms/media.php/70/moegliche_kontamination_der_lunge_von_rindern_mit_hirngewebe.pdf
BIR1 . The BSE Inquiry Report - Volume 13: Industry Processes and Controls 6. Rendering insbesondere Figure 6.4: Proportion of MBM produced by plants using a continuous rendering process, 1971-88
BIR2 . The BSE Inquiry Report - Volume 13: Industry Processes and Controls 6. Rendering insbesondere Figure 6.5: Proportion of MBM produced using solvent extraction, 1964-88
EUK . EU-Kommission - Entscheidung der Kommission vom 29. Juni 2000 zur Regelung der Verwendung von bestimmtem Tiermaterial angesichts des Risikos der Übertragung von TSE-Erregern und zur Änderung der Entscheidung 94/474/EG - http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2000/l_158/l_15820000630de00760082.pdf
ANDF . Heynkes,R. - Beim Schlachten BSE-infizierter Rinder kann hochinfektiöses Hirngewebe in Muskeln und Organe gelangen - Stellungnahme vom 18.3.2000, http://www.heynkes.de/emboli.htm
ANDB . Heynkes,R. - Rinderwahnsinn - Durch die moderne Medizin erst gefährlich - Therapiewoche 1995; 15: 886-92 - http://www.heynkes.de/review.htm
ANBJ . Pattison,I.H.; Millson,G.C. - Distribution of the scrapie agent in the tissues of experimentally inoculated goats - Journal of Comparative Pathology and Therapeutics 1962; 72: 233-44
SSC . Scientific Steering Committee (former MDSC) - Report on the assessment of the Geographical BSE-risk of GERMANY July 2000 - http://ec.europa.eu/food/fs/sc/ssc/out120_en.pdf
ALNP . Taylor,D.M.; Fraser,H.; McConnell,I.; Brown,D.A.; Brown,K.L.; Lamza,K.A.; Smith,G.R. - Decontamination studies with the agents of bovine spongiform encephalopathy and scrapie - Archives of Virology 1994; 139(3-4): 313-26

ZR 2

AD Dr. Keil Keil@urban-vogel.de

SP deutsch

OR Prion-Krankheiten 5

ZF kritische Zusammenfassung von Roland Heynkes

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