Die Kommunikationsstrukturen der Prion-Forschung bedürfen dringend einer Reformierung

Roland Heynkes, 5. November 2000

In der BSE-Affäre haben nicht nur Politiker und Behördenvertreter, sondern in erheblichem Maße auch einzelne Wissenschaftler und die BSE-Forschung als Ganzes versagt. Dabei waren der Mangel an Offenheit gegenüber abweichenden Meinungen und ungeeignete Kommunikationsstrukturen die wichtigsten Ursachen.

der Problemkomplex

PrionforscherInnen verwenden zur wissenschaftlichen Kommunikation fünf Methoden. Sie publizieren wissenschaftliche Artikel, veranstalten Konferenzen, kommunizieren zu zweit per Treffen, Telephon, Brief oder email, lassen sich zu Expertenbefragungen einladen und geben Interviews. (Schreiben Sie mir bitte, wenn Sie eine weitere Möglichkeit kennen.) Fachjournale und Bücher sind der einzige Weg, über den die WissenschaftlerInnen ihre Entdeckungen, Schlußfolgerungen und Vorschläge an alle KollegInnen übermitteln können. Dies funktioniert aber schon lange nicht mehr wirklich, weil die relevanten Veröffentlichungen verstreut in Tausenden von Fachzeitschriften erscheinen und selbst Datenbanken längst nicht alle Publikationen erfassen. Deshalb ist es heute völlig unmöglich, alle veröffentlichten Beiträge zur Prion-Forschung zu finden. Will man die interessant erscheinenden Artikel beschaffen, dann wird es sehr zeitaufwendig und teuer. Selbst mit den modernen Dokumentbeschaffungssystemen zahlt man 5 DM pro Artikel und wartet rund 2 Tage darauf. Allein die Beschaffung der rund 10.000 Artikel zur Prion-Forschung würde also 50.000 DM plus Personalkosten für die Anfragen kosten.

Noch wesentlich nachteiliger als die Rechercheprobleme und die Beschaffungskosten sind jedoch die Zeitverluste, die der peer reviewing Prozeß und die Warteschlangen renomierter Fachzeitschriften verursachen. Hat eine Arbeitsgruppe ihre Forschungsergebnisse in einem Artikel zusammengefaßt und zur Veröffentlichung an ein Journal geschickt, dann wird dieser zur Begutachtung in der Regel an zwei Koryphäen des selben Fachgebietes gesandt. Diese lassen sich mit der kritischen Durchsicht meist mehrere Monate Zeit und nutzen ihre Rolle nicht selten aus, um ihren Informationsvorsprung für die eigene Arbeitsgruppe nutzbar zu machen und Publikationen konkurrierender Gruppen zu verzögern. Gerne fordert man zur Verbesserung der vorgelegten Artikel zusätzliche Experimente, deren Durchführung wiederum etliche Monate kostet. Da im Prinzip jede neue Forschungsarbeit auf der Gesamtheit aller voran gegangenen Ergebnisse aufbaut, bremst dieses zur Qualitätskontrolle eingeführte System den Forschungsfortschritt und das ist insbesondere im Falle tödlicher Krankheiten keinesfalls akzeptabel.

Erfahrene WissenschaftlerInnen können auf die Vorprüfung von Artikeln durch höchstens ebenso erfahrene KollegInnen gut verzichten. Damit die übliche Qualitätskontrolle durch peer reviewing solche ExpertInnen nicht unnötig lange an der Nutzung vorhandener Daten hindert, werden neue Erkenntnisse in Biologie und Medizin häufig lange vor der Publikation auf Kongressen vorgestellt. Solche Veranstaltungen sind allerdings teuer und für weit entfernt lebende TeilnehmerInnen kommen noch hohe Reise- und Unterbringungskosten hinzu. Deshalb kann an traditionellen Konferenzen immer nur ein kleiner Teil der Menschen teilnehmen, die eine Forschungsrichtung repräsentieren. Üblicherweise nehmen fast nur die ProfessorInnen teil und daher wird bei solchen Gelegenheiten viel über allgemeine Ideen und sehr wenig über technische Details gesprochen. Die praktische Laborarbeit der zuhause gebliebenen jüngeren WissenschaftlerInnen profitiert also wenig von konventionellen Konferenzen, selbst wenn sich die ArbeitsgruppenleiterInnen um umfassende Berichterstattung bemühen. Hinzu kommt noch die allzu menschliche Tendenz, nur nette Leute einzuladen, die den eigenen Ansichten nicht garstig widersprechen. Soll eine Konferenz Beschlüsse fassen oder Thesen erarbeiten, so erleichtert man die Konsensbildung gerne zusätzlich durch eine möglichst kleine Teilnehmerzahl. Auch Interdisziplinarität erschwert natürlich die Kommunikation und deshalb bleibt man lieber unter sich. So werden Tagungen zwar harmonisch, aber nicht fruchtbar und schon gar nicht inovativ.

Unbefriedigend funktioniert deshalb auch die Kommunikation zwischen den hauptsächlich aus Veterinärmedizin, Virologie, Neuropathologie und Molekularbiologie stammenden Prion-ForscherInnen und den für die Risikoforschung hinzu zu ziehenden ExpertInnen für Tierhaltung, Schlachtung, Schlachtabfallverwertung, sowie Herstellung von Nahrungsmitteln, Tierfutter, Arzneimitteln, Kosmetika und Chemikalien in praktischer und juristischer Hinsicht.

Ebenso mangelhaft wie die Kommunikation innerhalb der Prion-Forschung ist auch der Austausch mit der Gesellschaft organisiert, also insbesondere mit den EntscheiderInnen in Politik, Behörden und Wirtschaft, sowie mit den MultiplikatorInnen in den Medien und Verbänden. Ganz im Gegensatz zu etlichen medizinischen Fachgesellschaften sind in der Prion-Forschung immer noch viel zu wenige Fachleute bereit, aus den bekannten Daten und Beobachtungen gemeinsam einen allgemein akzeptierten Stand des Wissens zu erarbeiten. An eine öffentliche Internet-Darstellung international und damit unabhängig von politischem Druck im Konsens erreichter Standpunkte ist deshalb in der Prion-Forschung gar nicht zu denken. Statt dessen bekämpfen sich in der Prion-Forschung seit langem regelrechte Denkschulen, die vor Gefahren warnen oder sie verharmlosen und für verschiedene Erreger-Hypothesen unversöhnlich und streng öffentlich streiten. Zu allem Überfluß geben auch noch ständig Wissenschaftler ihre laienhaften Meinungen zu Fragen zum Besten, von denen sie überhaupt nichts verstehen. Dieses unkoordinierte Durcheinander unmaßgeblicher und oft genug widersprüchlicher Einzelmeinungen vermittelt der ratsuchenden Öffentlichkeit den nicht ganz unzutreffenden Eindruck eines chaotischen Haufens zerstrittener EigenbrödlerInnen, welche nach Jahrzehnten intensiver Forschung nichts als offene Fragen vorzuweisen haben. Es ist wirklich kein Wunder, daß die Prion-Forschung im besten Falle wenig hilfreich für die Politik war. Im schlimmsten Fall ließen sich die politisch oft reichlich naiven WissenschaftlerInnen sogar instrumentalisieren.

Zwar lassen sich für die beschriebenen Mißstände zahlreiche Erklärungen finden, doch kostet jede Verlängerung des Wartens auf Diagnoseverfahren, Therapien und das Wissen über mögliche Übertragungsmechanismen Menschleben und Existenzen in der Landwirtschaft. Deshalb sind die bestehenden Mängel wissenschaftlicher Kommunikation politisch nicht hinnehmbar.

denkbare Lösungen

Die durch die indirekte wissenschaftliche Kommunikation über Fachjournale verursachten enormen Zeitverluste sind schon deshalb nicht verantwortbar, weil sie sich leicht und ohne nennenswerte Kosten durch ein in der Physik bereits seit fast 10 Jahren gut funktionierendes System vermeiden ließen. Im Grunde benötigt man für das preprint publishing (elektronisches Publizieren von Manuskripten vor deren Erscheinen in einer Fachzeitschrift) nichts weiter, als Internetspeicherplatz und ein System zur Speicherung auf allen Rechnersystemen lesbarer Dokumente durch die AutorInnen selbst. Ein Gutachtersystem braucht dieser zusätzliche Publikationsweg nicht. Die arbeitsintensive und zeitraubende Qualitätskontrolle bleibt Aufgabe und Existenzberechtigung der Fachzeitschriften, während das preprint publishing schon vorab allen KollegInnen und KonkurrentInnen das Arbeiten mit den Daten erlaubt. Auf den ersten Blick scheint dieses für die Allgemeinheit so nützliche System nur mit altruistischen WissenschaftlerInnen zu funktionieren. Man könnte meinen, daß besonders clevere Arbeitsgruppen das System durch eifriges Lesen ausnutzen könnten, ohne selbst auch ihre Artikel schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen. Derart übertriebener Egoismus wäre aber mit dem unkalkulierbaren Risiko verbunden, daß KonkurrentInnen ihre vergleichbaren Resultate nachweisbar als erste veröffentlichen könnten. Zusätzlicher Schutz gegen Mißbrauch ließe sich leicht durch Paßwörter einrichten, die Gruppen wieder entzogen würden, von denen Artikel ohne vorherige Übergabe an den preprint server in Fachzeitschriften erscheinen. So wie die US-Regierung den zentralen preprint server für die Physik zur Verfügung stellte, so könnte die Bundesregierung mit einem entsprechenden System für biomedizinische Arbeiten - oder zumindest für die Prionforschung - leicht den Wissenschaftsstandort Deutschland aufwerten.

Als eine äußerst preiswerte Ergänzung zu gewöhnlichen Fachkonferenzen könnte man eine sogenannte mailing list einrichten, wie sie heute schon zu tausenden und sogar von Privatleuten ohne besonderes technisches Verständnis betrieben werden. Dabei handelt es sich um eine Liste von email-Adressen und ein Internet-Postfach, welches außerdem durch Internet-Speicherplatz zur Einrichtung eines Archives ergänzt werden kann. Alle mit ihren email-Adressen in der Liste eingetragenen Teilnehmenden können Fragen, Anregungen oder Antworten an das zentrale Postfach schicken. Von dort aus werden diese Beiträge automatisch oder nach einer Kontrolle durch ModeratorInnen an alle in der Liste verzeichnete email-Adressen und gegebenenfalls an das Archiv weitergeleitet.

So finden alle Teilnehmenden Gehör, können aber auch für sie uninteressante Beiträge rasch überfliegen oder überspringen. Fragen müssen nicht direkt an bestimmte Personen gerichtet, sondern können einfach in den virtuellen Raum gestellt werden. So erhält man oft wertvolle Antworten aus unerwarteten Richtungen und fehlerhafte Antworten werden meistens sogleich von anderen Teilnehmenden korrigiert. Auf die schriftlich vorliegenden Beiträge läßt es sich viel leichter als bei mündlichen Debatten präzise antworten und man kann seine Aussagen sogar mit in aller Ruhe recherchierten Quellenangaben und Sprungverweisen belegen. Nebenbei wirkt das verglichen mit Gesprächen etwas mühsamere schriftliche Kommunizieren ausufernder Geschwätzigkeit entgegen. Außerdem gibt es natürlich bei solchen räumlich und zeitlich asynchronen Diskussionsforen keinerlei Probleme mit kollidierenden Terminplänen und weiten Reisen.

Das einzige potentielle Problem solcher virtueller Konferenzen besteht darin, daß sich die Teilnehmenden in fruchtlosen Debatten verlieren oder durch eine allzu umfangreiche Diskussion von anderen Arbeiten abgehalten werden. Daher sollte von der Bundesregierung vielleicht erst einmal als Pilotprojekt eine nur deutschsprachige Plattform für die Kommunikation zwischen allen ExpertInnen eingerichtet werden, die spezielles Fachwissen in die Diskussion um mögliche Sicherheitsprobleme im Zusammenhang mit BSE, CJK und der Traberkrankheit einzubringen haben. Außerdem sollte diese permanente Internet-Konferenz ausdrücklich dem Ziel dienen, Konsens über die korrekte Interpretation vorhandener Daten zu erreichen. Als von allen als Stand der Wissenschaft akzeptierte Darstellungen sollten dann allen Interessierten ebenfalls im Internet zugänglich gemacht werden. Natürlich könnte man in einer derartigen Einrichtung auch Fragen aus Politik und Behörden an die virtuelle Fachkonferenz zulassen und damit auch die direkte und offene Diskussion zwischen Politik und Wissenschaft enorm verbessern.

Käme erst einmal eine niveauvolle Diskussion zwischen einem Teil der deutschsprachigen Fachleute zustande, dann würde bald kaum noch jemand außen vor bleiben wollen. Eine mailing list mit einem Großteil der deutschen ExpertInnen wäre ein kompetenteres Beratungsgremium als das britische SEAC oder die französische AFSSA. Solchermaßen zusammengeschlossene Fachleute wären aber auch offensichtlich unabhängig von politischem Druck und würden Meinungsunterschiede erst einmal unter sich ausdiskutieren, anstatt die Öffentlichkeit mit jeder unausgegorenen Torheit zu verunsichern. Wissenschaftlich nicht zu klärende Meinungsunterschiede würden dann eben als offene Fragen deklariert und keine der ungeklärten Positionen dürfte als wissenschaftliche Grundlage politischer Entscheidungen dienen. Dies käme sehr der Glaubwürdigkeit der Prion-Wissenschaft zugute und befreite die Politik von dem Verdacht, sich lediglich gefällige Einzelmeinungen heraus zu picken und Gefälligkeitsgutachten zu erhalten. Anhand des Archivs könnten KritikerInnen jederzeit nachvollziehen, wie ein Konsens zustande kam.

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