Zahnärztliche Mitteilungen 1998; 88(260): 72-4

Roland Heynkes, 20.4.2004

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meine Kritik dieses Pamphlets
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Keil,T.U. - Rinderwahnsinn: Quantité négligeable - Zahnärztliche Mitteilungen 1998; 88(260): 72-4

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Einleitend zeigt der Autor, wes Geistes Kind er ist. Für ihn, einen zynischen Verharmloser, ist die Sorge vor der Übertragung von BSE auf Menschen genau wie die Ängste vor Atomkraft, Chemie, Genmanipulationen oder AIDS, nichts anderes als eine Massenpsychose in "einer nicht mehr im vollen Leben verwurzelten Zivilisation". Gepaart ist diese überhebliche Haltung wie so oft mit Unkenntnis und Fehleinschätzungen.

Noch harmlos sind grammatikalische Fehlleistungen wie "hat schon Tausenden von Rindern das Leben gekostet", "daß es weder einen klaren Infektionsweg für Tier und Mensch gibt und auch keinen eindeutigen Erreger" und "eine Stunde bei mehr als 130°C heißem Dampf", oder seltsame Wortschöpfungen wie "Prämyloid" und "Creutzfeldt-Jacob-Fälle".

Schon bedenklicher ist die Ansicht des Autors, die Tiermehlverfütterung an Pflanzenfresser sei unsinnig. Das ist sie natürlich nicht, denn sie reduziert die Entsorgungskosten durch Recycling und stellt gleichzeitig eine billige und hochwertige Eiweißquelle dar. Wer das nicht weiß, versteht natürlich auch nicht die ökonomisch motivierten Widerstände gegen eine unschädliche Beseitigung von Tierkörperabfällen.

Offensichtlich weiß der Autor auch sonst nicht, worüber er schreibt. Er übersieht, daß Tiermehl nicht der einzige aus Säugern gewonnene Bestandteil von Rinderfutter ist. Er weiß auch nicht, daß Bolzenschußapparat und Rückenmarkzerstörer Hirngewebe über den Blutstrom im ganzen Tierkörper verteilen [ANDF] und das bereits Infektiosität im Muskelgewebe einer mit Scrapie infizierten Ziege nachgewiesen wurde [ANBJ]. Nur so ist zu erklären, daß der Autor keinen Handlungsbedarf auf den Schlachthöfen und Tierkörperverwertungsbetrieben sieht und sich kaum vorstellen kann, daß der bloße Verzehr von Fleisch oder Innereien infizierter Tiere dem Menschen schaden könnte. Aber was kann man auch von einem Autor erwarten, der sich anmaßt, auf der Grundlage von lediglich zwei Referenzen den Sachstand eines Forschungsgebietes zu resümieren, welches allein in der medizinischen Datenbank Medline mit über 10.000 Artikeln vertreten ist. Dabei traut sich dieser Autor sogar die Kompetenz zu, die eine der beiden Darstellungen als ausgezeichnet zu charakterisieren.

Auf völliger Unkenntnis beruht auch das Hauptargument des Autors. Er behauptet, die Häufigkeit der spongioformen Enzephalopathien beim Menschen liege in Ländern mit und ohne Scrapie seit Beginn des Beobachtungszeitraumes unverändert bei 1/1.000.000 pro Jahr. Dabei übersieht er geflissentlich, daß schon die Zahl der amtlich erfaßten Creutzfeldt-Jakob-Toten in Ländern mit funktionierenden passiven Meldesystemen deutlich höher liegt und steigt. Er macht sich nicht einmal klar, daß es mit Ausnahme ganz weniger Länder keine brauchbaren Daten über die Häufigkeit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gibt und daß sich Ländervergleiche angesichts der unterschiedlichen, aber immer hohen Dunkelziffer verbieten. Sogar noch wesentlich unsicherer ist unser Wissen über die tatsächliche Häufigkeit von Scrapie. Angesichts der fast überall mangelhaften und nirgendwo weiter als wenige Jahre zurückreichenden Statistiken und des relativ geringen Anteils von Schafprodukten in Nahrung, Medikamenten und Kosmetika, konnten leichte regionale Unterschiede der CJK-Häufigkeit aufgrund von Scrapie-Infektionen kaum auffallen. Deshalb wurden nur besonders auffällige CJK-Häufungen in der Slowakei und unter Juden lybischer Abstammung bekannt, die mit verstärktem Genuß von Schafgehirnen in Verbindung gebracht wurden, jedoch sehr wahrscheinlich erblich bedingt sind. Wie ich bereits 1995 in einem auch auf meinen Internetseiten nachlesbaren Übersichtsartikel dargelegt habe [ANDB], sind außerdem direkte Scrapie-Infektionen sehr wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht tödlich. Richtig gefährlich werden sie erst, wenn die durch Scrapie-Infektionen induzierte noch nicht tödliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf andere Menschen übertragen wird.

Erstaunlich ist auch die durch nichts belegte Behauptung des Autors, in den britischen Tiermehlfabriken hätten seit 1982 Sterilisierungsmaßnahmen gefehlt. In Wirklichkeit erfolgte die Umstellung auf ernergiesparende Verfahren mit gesteigertem Durchsatz als Reaktion auf die erste Ölkrise bereits sehr viel früher und nicht plötzlich, sondern allmählich über einen langen Zeitraum. [BIR1]

Völlige Unkenntnis ist dem Autor auch hinsichtlich des Begriffs Seuche zu attestieren. Dieser historische Begriff beschreibt das plötzliche Erkranken zahlreicher Individuen an einer schweren, ansteckenden Krankheit. Dies schließt selbstverständlich auch Krankheiten ein, bei denen noch keine genauen Kenntnisse über die Natur des Erregers vorliegen. Umstritten ist die Verwendung des Begriffes Seuche im Zusammenhang mit BSE, Scrapie und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit wegen der relativ geringen Infektiosität.

Leider hat der Autor auch die Prion- oder protein only Hypothese nicht verstanden. In Wirklichkeit ist eine von Nukleinsäuren unabhängige Vererbung durch Konformationsänderngen von Proteinen bei Hefe längst bekannt und hinsichtlich der korrekten Interpretation der vorhandenen Daten im Sinne der Prion-Hypothese verweise ich auf meine ausführliche Darstellung von 1995 [ANDB]. Nur dem Laien und einer kleinen Zahl verbissener Anhänger der längst widerlegten Virus/Virion-Hypthese erscheint die protein only Hypothese neuartig und unverständlich und längst haben z.B. Kocisko et al. die Vereinbarkeit der Prion-Hypothese mit der Scrapie-Stammvariabilität nachgewiesen [AGQC,AODT]. Wenn ein Wissenschaftsjournalist eine Hypothese nicht versteht und deren wissenschaftliches Fundament nicht kennt, dann sollte er eben nicht nur mit den wenigen Gegnern dieser Hypothese, sondern auch mit deren Befürwortern sprechen.

Ganz übel ist es, wenn der Autor Natriumhypochlorid als Natriumhyperchlorid bezeichnet und im krassen Widerspruch zu publizierten experimentellen Daten behauptet, eine Stunde in mehr als 130°C heißem Dampf oder zweimolare Natronlauge reichten für eine Sterilisation der Prionen aus [ALNP].

Völlig unverständlich angesichts der Fülle publizierter oraler Übertragungen durch infektiöse Nahrung ist auch die Behauptung des Autors, der normale Nahrungsweg habe sich im Tierexperiment als unwirksam erwiesen. Ungehindert durch irgendwelche Sachkenntnis versteigt er sich sogar zu der Behauptung, die angebliche Konstanz der Krankheitshäufigkeit in Scrapie-endemischen und Scrapie-freien Ländern lasse für die fundierbare Vorstellung der Übertragbarkeit der Erkrankung durch Verspeisen erkrankter Tiere keinen Raum. Daher hält er die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit für ein "bloßes Aufmerksamkeits-Artefakt", obwohl auch diese Hypothese längst durch eine dichte Indizienkette praktisch widerlegt wurde.

Die Prionforschung ist sehr kompliziert und wer nicht wenigstens einige Hundert wissenschaftliche Artikel aus diesem Bereich gründlich gelesen hat, sollte kein Publikum mit seinen unmaßgeblichen Privatmeinungen belästigen und in die Irre führen. Das gilt insbesondere dann, wenn diese Meinung im Gegensatz zum fast einhelligen Konsens der Experten steht. Die Meinung des Verfassers, BSE-Infektionen bei Menschen aufgrund normalen Fleischverzehrs seien eher unwahrscheinlich und die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit entstehe spontan und habe nichts mit tierischen TSE zu tun, kann man angesichts der erdrückenden Indizienlast nur noch als ignorant bezeichnen. Der gesunde Menschverstand hätte ihm sagen müssen, daß man angesichts der intensiven Beforschung in Deutschland und übrigens auch in Österreich längst auch hier das typische Erscheinungsbild der neuen Variante hätte finden müssen, wenn dieses unabhängig von BSE spontan entstünde. Zu dieser Selbstherrlichkeit paßt auch, daß der Autor eigenmächtig die TSE (transmissible spongiform encephalopathies) in SE (spongioforme Enzephalopathien) umbenennt und 180.000 britische BSE-Fälle als "Unfälle mit britischen Rindern" verniedlicht.

Natürlich hat der Autor noch nie etwas von Negativkontrollen bei Übertragungsexperimenten gehört und behauptet daher dreist, Übertragungsexperimente beim Tier könnten bei kritischer Sichtweise noch immer mit der Auslösung genetisch präformierter Krankheitsbilder aufgrund von Übertragungstraumen ohne Weitergabe irgendwelcher Erreger erklärt werden. Hielte dieser Journalist nicht alle an den Übertragungsexperimenten beteiligten Wissenschaftler für komplette Trottel, dann hätte ihm doch die Möglichkeit in den Sinn kommen müssen, daß vielleicht ihm selbst nur nicht alle Fakten bekannt waren. Dann hätte er eventuell sogar die methodischen Beschreibungen einiger Artikel genauer gelesen und nicht solchen gefährlichen Unsinn geschrieben. So aber beschreibt er sein Hirngespinst als die wahrscheinlichste Erklärung und die schlichte Realität für den kranken Ausfluß einer Massenpsychose, für die er nur Häme und Spott übrig hat.

Da ist es schon fast müßig zu erwähnen, daß Prionkrankheiten nichts mit nachlassenden Immunsystemen zu tun haben und das die Nennung des Jahres 1982 als Zeitpunkt für den Verzicht auf die Fettextraktion des Tiermehls mit Chloroform und ein gleichzeitiges Einstellen der Dampfsterilisation völliger Unsinn ist [BIR2].

Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuß der EU-Kommission geht angesichts von mehr als 13.000 zwischen 1980 und 1993 aus England importierten Rindern und angesichts tausender Tonnen ausgerechnet im gefährlichsten Zeitraum aus dem Vereinigten Königreich importierten Tiermehls bzw. Fleischknochenmehls verständlicherweise davon aus, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr als eine Handvoll BSE-infizierte Rinder nach Deutschland exportiert wurden und daß infektiöses britisches Tiermehl in nicht unerheblicher Menge an landwirtschaftliche Nutztiere in Deutschland verfüttert wurde [SSC]. Außerdem wurden tausende Tonnen britischen Rindfleisches nach Deutschland importiert. Auch wenn sich diese Menge noch im Promillbreich der gesamten in Deutschland verzehrten Rindfleischmenge bewegt, kann man diese Mengen nicht einfach vernachlässigen, wie dies der Autor tat. Hätte überdies Muskelfleisch wirklich als keinesfalls infektiös gegolten, dann hätte das BgVV wohl kaum schon 1998 vor dem Einsatz des Rückenmarkzerstörers gewarnt [BgVV] und dann wäre dieser kaum Ende 2000 EU-weit verboten worden [EUK].

Der Autor dieses zynisch arroganten Machwerkes fragt sich am Ende seines Artikels, wer wohl hinter den angeblich überaktiven Reaktionen der Medien und Behörden stecke. Hätte er mal im Internet nach Informationen über BSE gesucht, dann wäre er zweifellos auf meine Seiten gestoßen und hätte zumindest einen der "Schuldigen" benennen können. Hätte er meine mit zahlreichen links und Quellenangaben vollständig belegten Texte auch gelesen, dann hätte er vielleicht sogar einen weniger dummen Text verfaßt.

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ANDB . Heynkes,R. - Rinderwahnsinn - Durch die moderne Medizin erst gefährlich - Therapiewoche 1995; 15: 886-92 - http://www.heynkes.de/review.htm

AODT . Bessen,R.A.; Kocisko,D.A.; Raymond,G.J.; Marsh,R.F.; Lansbury,P.T.; Caughey,B. - Strain-specific cell-free formation of the prion protein - Journal of Cellular Biochemistry 1995; 1995(S21B): 101

BgVV . Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin - Mögliche Kontamination der Lunge von Rindern mit Hirngewebe Eine Literaturanalyse - Stellungnahme des BgVV vom 02.07.1998 - http://www.bfr.bund.de/cms/media.php/70/moegliche_kontamination_der_lunge_von_rindern_mit_hirngewebe.pdf

BIR1 . The BSE Inquiry Report - Volume 13: Industry Processes and Controls 6. Rendering insbesondere Figure 6.4: Proportion of MBM produced by plants using a continuous rendering process, 1971-88

BIR2 . The BSE Inquiry Report - Volume 13: Industry Processes and Controls 6. Rendering insbesondere Figure 6.5: Proportion of MBM produced using solvent extraction, 1964-88

EUK . EU-Kommission - Entscheidung der Kommission vom 29. Juni 2000 zur Regelung der Verwendung von bestimmtem Tiermaterial angesichts des Risikos der Übertragung von TSE-Erregern und zur Änderung der Entscheidung 94/474/EG - http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2000/l_158/l_15820000630de00760082.pdf

ANDF . Heynkes,R. - Beim Schlachten BSE-infizierter Rinder kann hochinfektiöses Hirngewebe in Muskeln und Organe gelangen - Stellungnahme vom 18.3.2000, http://www.heynkes.de/emboli.htm

AGQC . Kocisko,D.A.; Priola,S.A.; Raymond,G.J.; Chesebro,B.; Lansbury,P.T.Jr.; Caughey,B.W. - Species specificity in the cell-free conversion of prion protein to protease-resistant forms: a model for the scrapie species barrier. - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 1995 Apr 25; 92(9): 3923-7

ANBJ . Pattison,I.H.; Millson,G.C. - Distribution of the scrapie agent in the tissues of experimentally inoculated goats - Journal of Comparative Pathology and Therapeutics 1962; 72: 233-44

SSC . Scientific Steering Committee (former MDSC) - Report on the assessment of the Geographical BSE-risk of GERMANY July 2000 - http://europa.eu.int/comm/food/fs/sc/ssc/out120_en.pdf

ALNP . Taylor,D.M.; Fraser,H.; McConnell,I.; Brown,D.A.; Brown,K.L.; Lamza,K.A.; Smith,G.R. - Decontamination studies with the agents of bovine spongiform encephalopathy and scrapie - Archives of Virology 1994; 139(3-4): 313-26

ANDB . Heynkes,R. - Rinderwahnsinn - Durch die moderne Medizin erst gefährlich - Therapiewoche 1995; 15: 886-92 - http://www.heynkes.de/review.htm

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