Veterinary Record 1997 Sep 6; 141(10): 250-1

Roland Heynkes, 20. Mai 2001

Gliederung

bibliographische Angaben
meine kritische Zusammenfassung des Artikels
Literaturliste

bibliographische Angaben

Wilesmith,J.W.; Ryan,J.B. - Absence of BSE in the offspring of pedigree suckler cows affected by BSE in Great Britain - Veterinary Record 1997 Sep 6; 141(10): 250-1

meine kritische Zusammenfassung des Artikels

Mit Hilfe der nationalen epidemiologischen BSE-Datenbank wurden bis zum August 1996 nur 126 britische BSE-Fälle bei einheimischen Mastrindern in 90 Mutter- oder Ammenkuhherden mit bekannten Stammbäumen ermittelt, welche insgesamt 234 Kälber hatten. Nach Aussage der Autoren soll keines dieser Kälber bis zu seiner Schlachtung an BSE erkrankt sein. 224 dieser Kälber wurde von der eigenen Mutter gesäugt, davon 219 mindestens einen Monat lang. Von diesen 219 mindestens einen Monat lang von ihren später an BSE erkrankten Müttern gesäugten Rindern lebten im August 1996 noch 88 als Zuchttiere mit bekanntem Aufenthaltsort. Davon waren 5 weniger als 20 Monate, 2 waren 20-23 Monate, 10 waren 24-35 Monate, 15 waren 36-47 Monate, 13 waren 48-59 Monate, 20 waren 60-71 Monate, 10 waren 72-83 Monate, 9 waren 84-95 Monate, 2 waren 96-107 Monate, 1 war 108-119 Monate und 1 war 120-131 Monate alt.

42 dieser 219 Kälber waren bis zum August 1996 bereits scheinbar gesund geschlachtet worden oder ohne Anzeichen für BSE gestorben. Von diesen Tieren wurden 3 weniger als 1 Jahr alt, 12 wurden mindestens 1 Jahr, 5 wurden mindestens 2 Jahre, 5 wurden mindestens 3 Jahre, 4 wurden mindestens 4 Jahre, 5 wurden mindestens 5 Jahre, 4 wurden mindestens 6 Jahre, 2 wurden mindestens 7 Jahre, 1 wurde mindestens 8 Jahre und 1 wurden mindestens 9 Jahre alt. Also erreichten nur 17 dieser 42 Kälber mit mindestens 4 Jahren ein Alter, in dem man ernsthaft mit BSE rechnen konnte. Aber nur 4 dieser Kälber erreichten mit mindestens 7 Jahren ein Alter, in dem sie im Falle einer Infektion normalerweise bereits erkrankt wären.

48 dieser 219 Kälber waren für die Mast verkauft worden und inzwischen scheinbar gesund geschlachtet worden. Von diesen Tieren wurden 2 weniger als 1 Jahr alt, 14 lebten 12-23 Monate, 15 lebten 24-35 Monate, 1 lebte 48-59 Monate und von 16 Tieren ließ sich das Alter zum Zeitpunkt der Schlachtung nicht genau ermitteln.

Für 41 der 219 Kälber wurde im August 1996 der Aufenthaltsort bzw. das Schicksal des Tieres nicht ermittelt. Dies steht im Widerspruch zu der Aussage, keines der Tiere sei an BSE erkrankt. Zum Zeitpunkt des Verkaufes waren 4 der Rinder weniger als 1 Jahr alt, 21 waren 12-23 Monate, 7 waren 24-35 Monate, 2 waren 36-47 Monate, 5 waren 48-59 Monate alt und bei zweien war das Alter unbekannt.

Insgesamt erreichten 132 dieser mindestens 1 Monat gesäugten Nachkommen von BSE-Kühen ein Alter von mindestens 20 Monaten. Entscheidend ist neben dem Alter dieser Nachkommen aber auch die Zeitspanne zwischen der Geburt und dem Erkranken der Mutter.

Dies läßt sich tabellarisch folgendermaßen darstellen:

Alter
[Monate]
Monate zwischen Geburt und Erkrankung der Mutter Nachkommen
0-2 3-5 6-8 9-11 12-23 24- Summe lebend
20-23 0 0 0 4 3 3 10 2
24-35 1 6 1 1 12 1 22 10
36-47 5 2 2 1 7 5 22 15
48-59 1 3 2 1 6 9 22 13
60-71 0 4 1 1 7 12 25 20
72-83 1 1 0 0 4 8 14 10
84-95 0 1 0 0 2 8 11 9
96-107 0 0 0 0 1 2 3 2
108-119 0 0 0 0 0 2 2 1
120-131 0 0 0 0 0 1 1 1
Summe 8 17 6 8 42 51 132 83
Die 1. Spalte gibt an, wie alt die Nachkommen wurden. Dabei zählen die in Spalte 8 zusammengefaßten Spalten 2-7 die zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits toten, die Spalte 9 hingegen die noch lebenden Tiere.

Erst diese Tabelle zeigt, wie dünn die Datenlage ist.

Mit der seit der Infektion verstrichenen Zeitspanne nimmt der Anteil der bereits erkrankten Tiere zunächst 2 Jahre lang gar nicht, dann die folgenden 5 Jahre relativ schnell und danach immer langsamer zu. Donnelly berechnete diese Zunahme der Erkrankungswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Alter als Kälber infizierter Rinder wie folgt: 0,0016 (2 Jahre), 0,0721 (3 Jahre), 0,3379 (4 Jahre), 0,6373 (5 Jahre), 0,8285 (6 Jahre), 0,9242 (7 Jahre), 0,9674 (8 Jahre), 0,9861 (9 Jahre), 0,9941 (10 Jahre), 0,9975 (11 Jahre) [ADNU]. Dabei hat er allerdings über die verschiedenen Jahrgänge gemittelt und das ist problematisch, weil sich die Charakteristik dieser Kurve über die Jahre stark verändert hat. Leitet man diese Kurve getrennt für jedes Jahr von der BSE-Statistik britischer Herden mit bekannter Altersstruktur ab, dann ergibt sich nämlich folgendes Bild:

Alter 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999
1 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00 0,00
2 0,69 0,51 0,14 0,13 0,06 0,06 0,07 0,00 0,00 0,00 0,00
3 8,32 11,56 12,48 3,64 2,21 1,28 1,84 1,66 1,58 2,12 0,90
4 42,02 44,47 50,63 39,21 18,41 13,31 10,33 12,78 12,59 15,46 10,82
5 76,61 73,67 76,51 73,96 58,47 37,36 31,32 27,65 31,37 37,44 32,30
6 91,97 90,29 89,55 88,74 82,96 69,39 53,33 46,49 46,53 54,94 55,99
7 96,43 96,03 95,72 94,25 91,31 86,11 74,73 62,59 58,60 63,10 65,58
8 98,21 97,80 98,03 97,32 94,92 92,16 86,55 77,25 69,38 69,14 72,63
9 98,71 98,48 98,94 98,76 97,01 94,86 91,98 87,00 79,86 76,60 79,43
10 98,91 98,99 99,50 99,20 98,78 97,82 95,04 92,92 90,49 86,10 89,18
11 100,00 99,41 99,64 99,45 99,67 99,56 97,28 96,10 98,41 92,69 96,15
12 100,00 100,00 99,99 100,01 99,99 100,01 100,00 100,00 99,99 99,99 100,00

Statt der Donnelli-Zahlen verwende ich daher die folgenden speziell für das 1996 gültigen:

0,0000 (2 Jahre), 0,0166 (3 Jahre), 0,1278 (4 Jahre), 0,2765 (5 Jahre), 0,4649 (6 Jahre), 0,6259 (7 Jahre), 0,7725 (8 Jahre), 0,8700 (9 Jahre), 0,9292 (10 Jahre), 0,9610 (11 Jahre).

Multipliziert man diese Faktoren für die altersabhängige Erkrankungswahrscheinlichkeit mit der Fallzahlen in der Tabelle, dann erhält man folgende Werte:

Alter
(Monate)
Monate zwischen Geburt und Erkrankung der Mutter
0-2 3-5 6-8 9-11 12-23 24-
20-23 0 0 0 0 0 0
24-35 0,0166 0,0996 0,0166 0,0166 0,1992 0,0166
36-47 0,6390 0,2556 0,2556 0,1278 0,8946 0,6390
48-59 0,2765 0,8295 0,5530 0,2765 1,6590 2,4885
60-71 0 1,8596 0,4649 0,4649 3,2543 5,5788
72-83 0,6259 0,6259 0 0 2,5036 5,0072
84-95 0 0,7725 0 0 1,5450 6,1800
96-107 0 0 0 0 0,8700 1,7400
108-119 0 0 0 0 0 1,8584
120-131 0 0 0 0 0 0,9610
Summen 1,5580 4,4427 1,2901 0,8858 10,9257 24,4695

Die Summe der Summen in der letzten Zeile obiger Tabelle ergibt 43,57. Wären alle Rinder der Studie während ihrer ersten Lebenswochen infiziert worden, dann würde man also unter den 132 beobachteten Rindern gut 43 BSE-Fällen erwarten. Wir wissen aber, daß es keine maternale BSE-Übertragung in dieser Größenordnung von 100% gibt.

Obwohl die Daten bei genauer Betrachtung gar nicht für eine maternale BSE-Übertragung, sondern viel eher für vererbte Unterschiede hinsichtlich der Empfänglichkeit für BSE-Infektionen sprechen, interpretierten Wilesmith et al. die Ergebnisse der Weybridge-Kohortenstudie als einen Hinweis auf eine maternale Übertragung in der Größenordnung von 10% [AMMU]. Unabhängig von dieser Kontroverse hinsichtlich der korrekten Interpretation der Daten spricht diese Studie in keinem Fall gegen eine maternale BSE-Übertragung durch Milch, da die in der Weybridge-Kohortenstudie beobachteten Tiere gar nicht gesäugt wurden [AMMU].

Sollte es eine maternale Übertragung von BSE in einer Größenordnung von 10% tatsächlich geben und wäre sie wirklich unabhängig von der Zeitspanne zwischen der Geburt eines Kalbes und der Erkrankung der Mutter, dann müsste man in dieser Studie 4-5 BSE-Fälle erwarten. Genau in diesem Sinne kalkulieren Wilesmith und Ryan einfach unabhängig von der Zeitspanne zwischen der Geburt eines Kalbes und der Erkrankung seiner Mutter mit einer maternalen Übertragungswahrscheinlichkeit von 10%. Die Weybridge-Kohortenstudie [AMMU] und die Computersimulationen zur Anpassung mathematischer Modelle an die epidemiologischen Daten sprechen aber eher dafür, dass die Wahrscheinlichkeit maternale Übertragungen von BSE mit dem zeitlichen Abstand zwischen der Geburt eines Kalbes und der Erkrankung der Mutter abnimmt. In der Weybridge-Kohortenstudie [AMMU] waren fast alle Kälber maximal 6 Monate vor der Erkrankung der Mutter geboren und der größte zeitliche Abstand überhaupt betrug nur 13 Monate. Einen Hinweis auf maternale Übertragung von BSE mehr als 2 Jahre vor der Erkrankung des Muttertieres gibt es daher berhaupt nicht. Rechnet man dementsprechend die mindestens 2 Jahre vor der Erkrankung der Mutter geborenen Kälber heraus, dann kann man in der Verfolgung gesäugter Kälber nur noch knapp 2 BSE-Fälle erwarten. Das man die nicht gefunden hat, kann also nicht wirklich als überzeugender Beweis gegen die Infektiosität von Milch gewertet werden.

Für die in dieser Studie untersuchten 132 gesäugten Nachkommen von BSE-Kühen soll die folgende Tabelle übersichtlich zeigen, wieviele BSE-Fälle unter den Nachkommen der BSE-Kühe zu erwarten gewesen wären, wenn die Häufigkeit maternaler Übertragungen von BSE bei 10, 5 oder 2% lägen. Dafür stehen die Reihen der Tabelle, wobei in diesem Fall unter maternaler Übertragung eine Übertragung vor, während oder kurz nach der Geburt oder durch eventuell infektiöse Milch zu verstehen ist. Auch bei infektiöser Milch wäre ja nicht mit einer 100%igen Erkrankungsrate zu rechnen gewesen. Die Spalten hinter den Prozentzahlen stehen für drei Szenarien oder Fälle, nach denen eine maternale Übertragung von BSE 1. völlig unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt innerhalb der Inkubationszeit sein, 2. frühestens 2 Jahre vor der Erkrankung der Mutter geschehen oder 3. frühestens 1 Jahr vor der Erkrankung der Mutter möglich sein könnte.

  Fall 1 Fall 2 Fall 3
100% 43,57 19,10 8,18
10% 4,36 1,91 0,82
5% 2,18 0,96 0,41
2% 0,87 0,38 0,16

Selbst wenn eine maternale Übertragung von BSE (einschließlich Übertragungen durch infektiöse Milch) mehr als 2 Jahre vor der Erkrankung bereits genauso wahrscheinlich wie am Ende der Inkubationszeit wäre, dürfte man also in dieser Untersuchung bei BSE-Übertragungsraten von immerhin 2% noch keine Erkrankung erwarten. Sollten Gebärmutter und Milch BSE-infizierter Kühe erst frühestens 2 Jahre vor Ausbruch der Krankheit infektiös sein, dann hätte man in dieser Untersuchung selbst bei einer maternalen Übertragungsrate von 5% keine Erkrankung erwarten dürfen. Wenn gar Gebärmutter und Milch BSE-infizierter Kühe erst 1 Jahr vor Ausbruch der Krankheit infektiös würden, dann hätte man selbst bei einer BSE-Übertragungsrate von 10% in dieser Studie keine Erkrankung erwarten können. Insgesamt kann es also nicht als überzeugender Beweis gegen die Infektiosität von Milch gewertet werden, dass man in dieser Studie keine BSE-Fälle unter den 132 mindestens 1 Monat gesäugten Nachkommen BSE-infizierter Kühe fand.

Literaturliste

ADNU . Donnelly,C.A. - Maternal transmission of BSE: interpretation of the data on the offspring of BSE-affected pedigree suckler cows - Veterinary Record 1998 May 23; 142(21): 579-80

AMMU . Wilesmith,J.W.; Wells,G.A.; Ryan,J.B.; Gavier-Widen,D.; Simmons,M.M. - A cohort study to examine maternally-associated risk factors for bovine spongiform encephalopathy - Veterinary Record 1997 Sep 6; 141(10): 239-43

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