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Dilettantismus, Absicht oder was?

Warum unterschlägt die Bundesanstalt für Milchforschung einen möglichen, für den gesundheitlichen Verbraucherschutz wesentlichen Unterschied zwischen konventioneller und Ökomilch?

Roland Heynkes, 26.9.2002 (ergänzt am 5.4.2003)

Es gehört zu den Grundsätzen der neuen Verbraucherschutzpolitik in Deutschland und der Europäischen Union, daß man Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst über alle bekannten und möglichen Risiken von Nahrungsmitteln aufklärt und sie dann selbst entscheiden läßt, wieviel Sicherheit zu welchem Preis sie für sich wünschen. Dieses neue Denken nach dem Prinzip des vorbeugenden Verbraucherschutzes hat sich insbesondere auch Ministerin Künast im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) auf die Fahnen geschrieben und hat zu diesem Zweck das an der BSE-Krise maßgeblich mitschuldige, ehemalige Landwirtschaftsministerium entsprechend umstrukturiert.

Um so befremdlicher ist es, wenn dem neu ausgerichteten Ministerium nachgeordnete Behörden gegen diesen neuen Geist verstoßen. Einen solchen Verstoß hatte sich schon die Bundesanstalt für Fleischforschung geleistet, als sie den Nachweis des schon lange verbotenen Nitrofens in der von ihr untersuchten Probe eines privaten Kunden in seiner Bedeutung falsch einschätzte und deshalb keine Warnung an das BMVEL weiterleitete. Und nun behauptet die Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel ganz pauschal, es gebe unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Lebensmittelsicherheit (Infektionserreger) keine wesentlichen verbraucherrelevanten Unterschiede zwischen ökologisch und konventionell produzierter Milch [BAM,AHO,IDW].

Es gibt aber sehr wohl einen verbraucherrelevanten Unterschied zwischen ökologisch und konventionell aufgezogenen Milchkühen, weil die allermeisten heute Milch produzierenden Kühe vor dem Verbot der Kälberaufzucht mit tierischem Fett geboren wurden. Erst seit dem 2.12.2000 dürfen in Deutschland produzierte Milchaustauscher kein tierisches Fett mehr enthalten [RH2], weil sich in diesem Fett im Falle eines unerkannt geschlachteten BSE-Rindes auch infektiöses Nervengewebe befinden konnte [GH1,GH2,GH3,GH4,GH5,GH6] und Prionen in Fett noch bedeutend hitzeresistenter als in Wasser sind [JKN]. Außerdem wurde nach Auskunft der EFPRA (European Fat Processors and Renderers Associaton) für die Produktion von Milchaustauschern für Kälber tierisches Fett verwendet, welches nur mild erhitzt wurde, um das Fett in größtmöglicher Qualität zu erhalten [SSC]. Wenn also dieses Gesetz der Bundesregierung kein teurer, verbraucherschutzpolitischer Unsinn war, dann muß man wohl von einem verbraucherrelevanten oder zumindest nicht kalkulierbaren Risiko ausgehen, daß ein Teil der konventionell gehaltenen Milchkühe über das Tierfett in ihrem Milchaustauscher mit BSE infiziert wurde. Infektiöses Tierfett könnte auch eine Erklärung für die nach der absolut strikten Durchsetzung des britischen Tiermehlverfütterungsverbotes am 1.8.1996 [RH1] geborenen und dennoch an BSE erkrankten britischen Rinder [DEF] sein. Für Milchaustauscher als mögliche Infektionsquelle deutscher Rinder spricht auch die Tatsache, daß die Empfänglichkeit für BSE-Infektionen bei ganz jungen Kälbern sehr viel höher als bei älteren Tieren ist [RH3].

Im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft sollen Milchaustauscher mit tierischem Fett bei Demeter nie verwendet worden sein, bei Bioland waren sie seit dem 7.12.1993 nicht mehr erlaubt und laut Stiftung Ökologie und Landbau waren außer Milchfett im gesamten deutschen Ökolandbau tierische Fette in Milchaustauschern nicht zulässig [OL1]. Auch sonst war man in der Ökolandwirtschaft restriktiver beim Zukauf nicht selbst produzierter Futtermittel [BIO,DEM,OL2], die Verfütterung von Tiermehl war schon immer verboten [OL1], und so habe ich bei rund 180.000 britischen und 244 deutschen BSE-Fällen bis heute noch von keinem einzigen BSE-Fall bei einem von Anfang an nach den Richtlinien der ökologischen Landwirtschaft aufgezogenen Rind gehört oder gelesen. Anderen aufmerksamen Beobachtern geht das offenbar ebenso [NA1,NA2,NA3,SA1]. Aktuelle in Fachzeitschriften publizierte Dokumentationen kann ich dazu aber nicht zitieren, weil natürlich üblicherweise nur positive Befunde veröffentlicht werden, während daß Ausbleiben einer BSE-Diagnose bei einem Bio-Rind keine Nachricht ist und unerwähnt bleibt. Angesichts des gespannten Verhältnisses vieler konventionell arbeitender Bauern zu ihren nach Normen wie Demeter oder Bioland arbeitenden Kollegen, ist allerdings davon auszugehen, daß der erste Fall von BSE bei einem Bio-Rind sofort einen erheblichen Bekanntheitsgrad erlangen würde. Aber selbst wenn einige Fälle von BSE bei Bio-Rindern unerwähnt geblieben sein sollten, wäre das Risiko einer BSE-Infektion bei Ökomilchkühen statistisch signifikant geringer als bei konventionell aufgezogenen Milchkühen. In Deutschland mag es noch ein unwahrscheinlicher Zufall sein, daß von den etwa 76.000 (1,67%) Biomilchkühen und den 85.000 (11,8%) Biomutterkühen noch kein BSE-Fall bekannt wurde. Nimmt man für das Vereinigte Königreich einmal an, daß 2% der Kühe entsprechend den Richtlinien deutscher Bioverbände aufgezogen wurden und tut man der Einfachheit halber so, als ob Bio-Kühe nicht älter als ihre konventionell gehaltenen Artgenossen würden, dann hätte man allein im Vereinigten Königreich bei gleichem Infektionsrisiko schon mehr als 3600 BSE-Fälle entdecken müssen.

Dieses deutlich erhöhte BSE-Risiko konventioneller Milchkühe kann man natürlich nicht einfach auf die Milch übertragen. Es ist nämlich denkbar, daß die BSE-Infektiosität einer Milchkuh gar nicht bis in die Milch gelangt. Tatsächlich wurde auch noch nie BSE-Infektiosität in Milch nachgewiesen [RH4]. Aber die Empfindlichkeit aller bisher zu dieser Frage unternommenen Experimente und Beobachtungen war derart gering, daß sie uns keine nennenswerte Sicherheit geben [RH4]. Sie weisen lediglich nach, daß man nach dem Genuß von einem halben Liter Milch einer BSE-kranken Kuh eine Überlebenschance von mindestens 50% hätte [RH4].

Der Bundesanstalt für Milchforschung sind diese Experimente bekannt, aber sie hat sie lediglich qualitativ ausgewertet und in einer Presseerklärung vom 17.1.2001 als überzeugenden Hinweis auf die BSE-Sicherheit von Milch gewertet [TEU]. Daß ein im Auftrag der NRW-Verbraucherministeriums von mir erstelltes Gutachten nach quantitativer Auswertung aller Experimente zu einem weit weniger beruhigenden Ergebnis kam [RH4], das ignoriert die Bundesanstalt für Milchforschung bis heute, obwohl man aufgrund telephonischer Kontakte von meinem Gutachten weiß und dieses im Internet frei verfügbar ist.

Konventionell gehaltene Rinder haben also ein deutlich höheres BSE-Risiko als Ökomilchkühe und es ist wissenschaftlich völlig offen, ob die Milch BSE-infizierter Kühe infektiös ist [RH4]. Der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel war dies bekannt bzw. sie hätte es leicht recherchieren können. Warum also behauptet sie nun trotzdem, es gebe keine wesentlichen verbraucherrelevanten Vorteile von Ökomilch gegenüber konventionell produzierter Milch und erwähnt dabei auch explizit den Gesichtspunkt Infektionserreger [BAM,AHO,IDW]? Warum sagt man dem mündigen Verbraucher nicht die Wahrheit über die große wissenschaftliche Unsicherheit hinsichtlich der BSE-Sicherheit von Milch und läßt ihn selbst entscheiden, wie das Restrisiko zu bewerten ist? Aus meiner Sicht ist es ein inakzeptables Verhalten und paßt nicht zur neuen Politik des Verbraucherministeriums, wenn eine Bundesoberbehörde ein auch nicht annähernd quantifizierbares Risiko einfach als nicht wesentlich abtut.

Literaturliste

AHO . AHO-Pressemeldung - Ökomilch: Keine verbraucherrelevanten Vorteile - http://ticker-grosstiere.animal-health-online.de/20020925-00000/

JKN . Appel,T.; Wolff,M.; von Rheinbaben,F.; Heinzel,M.; Riesner,D. - Heat stability of prion rods and recombinant prion protein in water, lipid and lipid-water mixtures - Journal of General Virology 2001 Feb; 82(Pt 2): 465-73 - http://vir.sgmjournals.org/cgi/content/full/82/2/465

BIO . Bioland e.V. Verband für organisch-biologischen Landbau - Bioland Richtlinien - http://www.bioland.de/richtlinien/rili-april-02_klein.PDF

BAM . Bundesanstalt für Milchforschung - Auch Öko-Milch hat hohe Qualität - Kaum Unterschiede zwischen konventionell und ökologisch erzeugter Milch - http://www.bafm.de/%D6komilch300902/OKOMIL_1.HTM

DEF . DEFRA BSE information - Suspect cases born on or after 01 January 1996 - http://www.defra.gov.uk/animalh/bse/bse-statistics/bse/bab-sus.html

DEM . Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise e. V. - Erzeugungsrichtlinien für die Anerkennung der Demeter-Qualität - http://www.demeter.de/demeter/dem_richtlinien.pdf

RH1 . Heynkes,R. (10.2.2000) - Die Entwicklung der Maßnahmen gegen eine Ausbreitung von Scrapie und BSE über Nahrungsketten - http://www.heynkes.de/vfverbot.htm

RH2 . Heynkes,R. (23.12.2000) - Das Gesetz über das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel - www.heynkes.de/bann.htm

RH3 . Heynkes,R. (18.9.2001) - Die meisten BSE-Kühe wurden als Kälber infiziert - www.heynkes.de/peaks.htm

RH4 . Heynkes,R. (12.12.2001) - BSE-Sicherheit von Milch - www.heynkes.de/milch.htm

GH1 . Hildebrandt,G.; Lücker,E.; Rauscher,K. - BSE-Risiko der Lebensmittel Fleisch und Milch - Bundesgesundheitsblatt 2001; 44: 437-49 - http://link.springer.de/link/service/journals/00103/bibs/1044005/10440437.htm

GH2 . Hildebrandt,G.; Rauscher,K.; Buda,S.; Budras,K.-D.; Eggers,T.; Fries,R. - Periphere Nervenzellen als Risikomaterial - DLG-Empfehlungen zur Entfernung von extracerebrospinalen Neuronen - Broschüre der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e.V. - www.dlg.org

GH3 . Eggers,T.; Fries,R.; Buda,S.; Budras,K.-D.; Hildebrandt,G.; Rauscher,K. - Bewertung von Nervengewebe des Rinderschädels als BSE-Risikomaterial - Extracerebrospinale Strukturen des autonomen Nervensystems zwischen Darmtrakt und zentralem Nervensystem - 1. Ganglien des Kopfes - Fleischwirtschaft 2002; 82(5): 108-11

GH4 . Hildebrandt,G.; Rauscher,K.; Buda,S.; Budras,K.-D.; Eggers,T.; Fries,R. - Bewertung des parasymphatischen Nervensystems als BSE-Risikomaterial - Extracerebrospinale Strukturen des autonomen Nervensystems zwischen Darmtrakt und zentralem Nervensystem - 2. Nervus vagus - Fleischwirtschaft 2002; 82(6): 121-4

GH5 . Buda,S.; Budras,K.-D.; Eggers,T.; Fries,R.; Hildebrandt,G.; Rauscher,K. - Bewertung symphatischer Para- und Praevertebralganglien als BSE-Risikomaterial - Extracerebrospinale Strukturen des autonomen Nervensystems zwischen Darmtrakt und zentralem Nervensystem - 3. Sympathisches Nervensystem - Fleischwirtschaft 2002; 82(8): 95-7

GH6 . Hildebrandt,G.; Rauscher,K. - Eradikations- und Präventivmaßnahmen inklusive Rechtsverfahren - Fleischwirtschaft 2002; 82(9): 137-40

IDW . Informationsdienst Wissenschaft - Auch Öko-Milch hat hohe Qualität - http://idw-online.de/public/zeige_pm.html?pmid=53237

NA1 . Naturkost.de - Keine 100 Prozent Sicherheit - http://www.naturkost.de/bse/bse7.htm

NA2 . Naturkost.de (1.3.2001) - Erstes Bio-Rind unter BSE-Verdacht - http://www.naturkost.de/2001/010301o4.htm

NA3 . Naturkost.de (7.3.2001) - Bio-Rind hatte kein BSE! - http://www.naturkost.de/2001/010307o3.htm

OL1 . Stiftung Ökologie und Landbau - Die BSE-Krise: Ökolandbau als Alternative - http://www.soel.de/inhalte/publikationen/infos/bse_soel_agoel.pdf

OL2 . Stiftung Ökologie und Landbau - BSE-Krise: Ökolandbau als Alternative - http://www.soel.de/oekolandbau/bse.html#oekotier

SA1 . Soil Association - 10 reasons to eat organic - http://www.soilassociation.org/web/sa/saweb.nsf/7bf3d2dffe2556d580256a680039de19/f510b9e62cd3a5b180256aa70039be03!OpenDocument

TEU . Teufel,P. (17.1.2001) - Feststellung zum wissenschaftlichen Kenntnisstand über die Sicherheit von Milch und Milcherzeugnissen in Bezug auf BSE - Wissenschaftler sehen derzeit kein BSE-Risiko durch Milch und Milcherzeugnisse - http://www.bafm.de/BSE%2017%20Januar%202001/BSE17J_1.htm

SSC . Wissenschaftlicher Lenkungsausschuß (29.6.2001) - The safety of tallow obtained from ruminant slaughter by-products - http://europa.eu.int/comm/food/fs/sc/ssc/out228_en.pdf, Seite 9

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